Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. GdB-Herabsetzung. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Bekanntgabe des Bescheids nach Herabsetzungsdatum. unzulässige Rückwirkung. Teilrechtswidrigkeit. zeitliche Teilbarkeit des Bescheids. keine Rechtswidrigkeit des Gesamtbescheids. Wirksamkeit ab Bekanntgabe. GdB-Neufeststellung nach Heilungsbewährung

 

Orientierungssatz

Ein Bescheid, der einen Grad der Behinderung (GdB) zu einem bestimmten Zeitpunkt herabsetzt, ist dergestalt (zeitlich) teilbar, dass er auch die Herabsetzung zu einem späteren Zeitpunkt beinhaltet (Anschluss an LSG Berlin-Potsdam vom 23.7.2015 - L 11 SB 157/11; so auch LSG Mainz vom 16.10.2019 - L 4 SB 69/19 und vom 16.10.2019 - L 4 SB 77/19; entgegen LSG Berlin-Potsdam vom 25.2.2015 - L 13 SB 90/13).

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 30.10.2018 wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat der Klägerin ein Fünftel ihrer außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) von 60 auf 30 nach Heilungsbewährung.

Bei der 1965 geborenen Klägerin war mit Bescheid vom 28.01.2011 ein GdB von 60 unter Zugrundelegung folgender Behinderungen festgestellt worden:

1. Entfernung einer Gewebeneubildung der Haut in Heilungsbewährung (50)

2. Kognitive Einschränkungen nach Hirninfarkten (30)

Im Juni 2014 leitete der Beklagte eine Überprüfung ein und zog Befundberichte des Arztes L und der Hautärztin Dr. J nebst weiteren medizinischen Unterlagen bei, die er versorgungsärztlich von Dr. B auswerten ließ (Stellungnahme vom 06.11.2014). Entsprechend dessen Beurteilung stellte der Beklagte nach Anhörung der Klägerin mit Schreiben vom 22.01.2015 sowie weiterer versorgungsärztlicher Auswertung durch Dr. H (Stellungnahme vom 04.06.2015) mit Bescheid vom 06.08.2015 mit Wirkung ab dem 10.08.2015 nur noch einen GdB von 30 fest, da die Hauterkrankung nach Ablauf der Heilungsbewährung keinen GdB von zumindest 10 mehr bedinge.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch, den sie unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung des Neurologen Dr. E vom 01.09.2015 damit begründete, dass die erheblichen Beeinträchtigungen nach multiplen Hirninfarkten im Sinne einer Reduzierung der Gebrauchsfähigkeit der linken oberen Extremität und einer psychischen Leistungsbeeinträchtigung allein schon mit einem GdB von mindestens 50 zu bewerten seien. Nach Beiziehung eines Berichts des Dr. S vom 16.09.2015 und nach Beteiligung des versorgungsärztlichen Dienstes (Stellungnahme von Dr. Z vom 20.10.2015) wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05.07.2016 zurück, weil die Hautkrebserkrankung der Klägerin nach rezidivfreiem Ablauf der Heilungsbewährung keinen Behinderungswert im Sinne des Gesetzes mehr habe und die Folgeschäden nach multiplen Hirninfarkten weiterhin mit einem GdB von 30 ausreichend bewertet seien.

Am 25.07.2016 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Mainz (SG) erhoben. Sie hat geltend gemacht, der Beklagte habe ihren GdB zu Unrecht auf unter 50 herabgesetzt. Nur ein GdB in mindestens dieser Höhe bewerte die verbliebenen Folgen ihrer Hirninfarkte ausreichend.

Das SG hat Befundberichte vom Arzt S vom 22.08.2016 und vom Neurozentrum R vom 24.08.2016 eingeholt. Nach deren versorgungsärztlicher Auswertung durch Dr. M (Stellungnahme vom 15.09.2016) hat der Beklagte sich durch Teil-Anerkenntnis vom 26.09.2016 bereit erklärt, ab 10.08.2015 bei der Klägerin eine „dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit (Pauschbetrag nach § 33b EStG)“ anzuerkennen. Der Gesamt-GdB sei allerdings weiterhin nur mit 30 zu bewerten. Dies hat die Klägerin nach wie vor für unzureichend erachtet.

Von Amts wegen hat das SG von Dr. G ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten vom 09.01.2017 mit ergänzender Stellungnahme vom 27.03.2017 eingeholt. Der Sachverständige ist zum Ergebnis gelangt, dass hinsichtlich der Hautkrebserkrankung der Klägerin nach Ablauf der Heilungsbewährung vom Beklagten zutreffend ein GdB nicht mehr angenommen worden sei. Allerdings hätten sich bei der Klägerin aufgrund der Hirninfarkte nicht nur kognitive Einschränkung manifestiert, sondern auch neurologische. Diese seien im gleichen Maße zu berücksichtigen wie die kognitiven Störungen, so dass sich ein GdB von 50 ergebe. Dieser Beurteilung ist der Beklagte unter Vorlage weiterer versorgungsärztlicher Stellungnahmen von Dr. M vom 09.02.2017 und 23.05.2017 hinsichtlich der Bewertung der Folgen der erlittenen Hirninfarkte entgegengetreten. Die Minderbelastbarkeit und funktionelle Halbseitenreststörungen links nach Hirninfarkten bedingten aufgrund ihrer nur leichtgradigen Ausprägung nach wie vor keinen höheren GdB als 30.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG ein weiteres neurologisch-psychiatrisches/psychosomatisches Gutachten vom Diplom-Mediziner S vom 03.11.2017 eingeholt. Dieser ist zum Ergebnis g...

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