Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. GdB-Herabsetzung. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Bekanntgabe des Bescheids nach Herabsetzungsdatum. unzulässige Rückwirkung. Teilrechtswidrigkeit. zeitliche Teilbarkeit des Bescheids. keine Rechtswidrigkeit des Gesamtbescheids. Wirksamkeit ab Bekanntgabe. GdB-Feststellung. Brustkrebs. Heilungsbewährung nach Tumorentfernung. Versorgungsmedizinische Grundsätze
Orientierungssatz
1. Ein Bescheid, der einen Grad der Behinderung (GdB) zu einem bestimmten Zeitpunkt herabsetzt, ist dergestalt (zeitlich) teilbar, dass er auch die Herabsetzung zu einem späteren Zeitpunkt beinhaltet (so im Ergebnis auch LSG Berlin-Potsdam vom 23.7.2015 - L 11 SB 157/11 und LSG Essen vom 16.11.2018 - L 13 SB 280/17; entgegen LSG Berlin-Potsdam vom 28.3.2019 - L 13 SB 101/16).
2. Zur einzelfallbezogenen Herabsetzung des GdB bei Brustkrebs nach fünfjähriger Heilungsbewährung (Teil B Nr 14.1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze - VMG) unter Berücksichtigung einer Vielzahl weiterer Beeinträchtigungen von geringer Schwere - ua Osteoporose und Wirbelsäulenverschleiß (Teil B Nr 18.9 VMG)
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 22.05.2019 aufgehoben und die über das Teilanerkenntnis des Beklagten hinausgehende Klage wird abgewiesen.
2. Der Beklagte hat der Klägerin 1/10 der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Herabsetzung ihres Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung (SGB IX) von 50 auf 20.
Bei der 1958 geborenen Klägerin war im Mai 2010 ein Mammakarzinom im Stadium yPTis pN0 M0 diagnostiziert worden. Am 11.11.2010 erfolgte nach Durchführung einer Chemotherapie eine brusterhaltende Therapie (BET). Auf einen im Januar 2011 gestellten Antrag hin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 16.03.2011 mit Wirkung ab Mai 2010 einen GdB in Höhe von 50 bei der Klägerin fest. Hierbei berücksichtigte er die Beeinträchtigung „Brustoperation links im Stadium der Heilungsbewährung“.
Im November 2015 überprüfte der Beklagte diese Feststellung von Amts wegen und zog Befundberichte des Hautarztes K , der Hausärztin Dr. L und der Gynäkologin Dr. R-K bei. Zur Auswertung dieser Unterlagen ließ er sodann eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. H vom 31.01.2016 einholen. Dieser schlug vor, nach Ablauf der Heilungsbewährung den GdB auf 20 herabzusetzen. Bei der Klägerin seien nur noch folgende Beeinträchtigungen zu berücksichtigen:
1. Ekzem (Einzel-GdB in Höhe von 20)
2. Knochenentkalkung (Einzel-GdB in Höhe von 20)
Der Beklagte hörte die Klägerin zu einer beabsichtigten Herabsetzung des GdB an. Diese wies darauf hin, dass bei ihr eine deutliche Leistungsminderung verblieben sei. Zusätzlich leide sie unter Kniegelenksschmerzen. Sie legte einen Arztbrief des Orthopäden B vor. In einer weiteren gutachtlichen Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes des Beklagten schlug am 23.11.2016 auch die Versorgungsärztin Dr. F vor, den GdB der Klägerin auf 20 herabzusetzen. Sie ging von folgenden Beeinträchtigungen aus
1. Psychische Störung (Einzel-GdB in Höhe von 10)
2. Ekzem (Einzel-GdB in Höhe von 20)
3. Knochenentkalkung (Einzel-GdB in Höhe von 20)
4. Knieknorpelschaden beidseits (Einzel-GdB in Höhe von 10)
Durch Bescheid vom 26.01.2017 stellte der Beklagte bei der Klägerin unter Berücksichtigung dieser Beeinträchtigungen einen GdB in Höhe von 20 fest. Die Entscheidung sei wirksam ab dem 29.01.2017.
Am 23.02.2017 legte die Klägerin gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Zur Begründung verwies sie darauf, dass der Beklagte die noch bestehenden psychischen Folgen der Brustkrebserkrankung nicht gewürdigt habe. Der Beklagte forderte einen weiteren Befundbericht bei der Hausärztin Dr. L an und holte im Anschluss eine gutachtliche Stellungnahme der Ärztin Dr. H-Sch vom 17.10.2017 ein, die zusätzlich zu den bereits berücksichtigten Beeinträchtigungen noch einen „Teilverlust der linken Brust“ mit einem weiteren Einzel-GdB in Höhe von 10 anführte. Der Gesamt-GdB betrage 20. Durch Widerspruchsbescheid vom 08.11.2017 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat am 05.12.2017 Klage beim Sozialgericht Mainz (SG) erhoben.
Das Sozialgericht hat Befundberichte bei der Hausärztin Dr. L, dem Augenarzt G und der Frauenärztin Dr. L beigezogen. Der Beklagte hat eine gutachtliche Stellungnahme vom 12.07.2018 vorgelegt, in der Frau Dr. D auch nach Auswertung dieser Berichte von einer zutreffenden Herabsetzung auf einen GdB in Höhe von 20 ausgegangen ist. Es sei lediglich ein weiterer Einzel-GdB in Höhe von 10 für eine Sehbehinderung aufzuführen.
Sodann hat das SG Dr. Sch gem. den §§ 103, 106 Abs. 3 Nr. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Sachverständigen ernannt. In dessen sozialmedi...