Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage. Bescheidungsurteil

 

Leitsatz (amtlich)

Entscheidet eine Behörde über einen Widerspruch ohne zureichenden Grund binnen drei Monaten seit seiner Einlegung nicht über den Widerspruch gegen einen Bescheid, ist eine Untätigkeitsklage zulässig. Die Behörde ist zur Entscheidung über den Widerspruch zu verurteilen, wenn sie eine Widerspruchsbescheidung ausdrücklich abgelehnt hat.

 

Orientierungssatz

Auch unzulässige Widersprüche müssen grundsätzlich, von Fällen des Rechtsmissbrauchs abgesehen, beschieden werden (vgl BSG vom 11.11.2003 - B 2 U 36/02 R = SozR 4-1500 § 88 Nr 1).

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mainz vom 04.02.2010 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, über den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 29.05.2008 zu entscheiden.

2. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers beider Rechtszüge trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Klägers für eine Untätigkeitsklage.

Der im Jahr 1955 geborene Kläger erlitt am 12.07.2007 im D Werk G einen Unfall, bei dem er sich eine Fraktur der Patella und eine Innenmeniskusläsion links zuzog. Die Beklagte zahlte dem Kläger zunächst während dessen Arbeitsunfähigkeit über seine Krankenkasse Verletztengeld und teilte dem Kläger mit formlosem Schreiben vom 29.05.2008 mit, das Ereignis vom 12.07.2007 werde als Arbeitsunfall anerkannt.

Durch seinen damaligen Bevollmächtigten beantragte der Kläger im Juni 2008 Verletztenrente. Hierzu teilte die Beklagte mit Schreiben vom 13.06.2008 mit, eine Entscheidung über den Rentenanspruch sei derzeit nicht möglich, da hierzu eine Begutachtung des Klägers erforderlich sei. Mit Schreiben vom 21.08.2008 legte der Kläger über seinen jetzigen Bevollmächtigten Widerspruch gegen das Schreiben 29.05.2008 ein, da in diesem Schreiben weder konkrete Gesundheitsstörungen anerkannt noch Leistungen zugesprochen worden seien, obwohl die Arbeitsunfähigkeit wegen des Unfalls über die 26. Woche hinausreiche. Zugleich benannte der Kläger den Arzt für Chirurgie und Sozialmedizin Dr. L als Gutachter. Dieser untersuchte den Kläger im Oktober 2008 und diagnostizierte als Unfallfolgen mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 vH:

Patellamehrfragmentfraktur links, nicht disloziert, konservativ behandelt, verbliebene Quadrizepsschwäche links, Chondromalazie retropatellar 2. bis 3. gradig, der Trochlea zentral 2. gradig mit lt. Dr. S instabilen Knorpelanteilen, Z.n. Chondroplastik vom 25.01.2008.

Mit Bescheid vom 03.12.2008 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Unfallrente ab und erkannte Unfallfolgen entsprechend dem Gutachten des Dr. L an. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 31.01.2009 “vorsorglich„ entsprechend der erteilten Rechtsbehelfsbelehrung Widerspruch ein. Zugleich wies er darauf hin, der Bescheid sei Bestandteil des laufenden Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 29.05.2008 geworden, so dass dieser Widerspruch nur “fürsorglich„ erhoben werde.

Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 03.12.2008 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.03.2009 zurück und führte aus, der Bescheid vom 29.05.2008 sei nicht Gegenstand des hier beschiedenen Widerspruchs. Anspruch auf Anerkennung weiterer Gesundheitsstörungen und eine Rente habe der Kläger nicht. Hiergegen hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Mainz erhoben (Az.: S 5 U 52/09).

Am 03.02.2009 hat der Kläger zudem vor dem Sozialgericht Mainz Untätigkeitsklage erhoben wegen der bis dahin nicht erfolgten Bescheidung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 29.05.2008 in der Gestalt des Bescheids vom 03.12.2008. Die Beklagte hat mitgeteilt, sie habe die Einlegung des Widerspruchs übersehen und betrachte den Widerspruch als durch den Bescheid vom 05.03.2009 als erledigt.

Die Klage hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 04.02.2010 als unzulässig abgewiesen. Da der begehrte Widerspruchsbescheid inzwischen erlassen sei, bestehe für die Klage kein Rechtsschutzbedürfnis mehr.

Gegen den ihm am 16.04.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 02.05.2010 Berufung eingelegt.

Der Kläger trägt vor,

der Bescheid vom 03.12.2008 sei Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 29.05.2008 geworden. Die Widerspruchseinlegung gegen den zweiten Bescheid sei nur wegen der dort unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung aus Gründen der Fürsorge erfolgt. Über den Widerspruch gegen den ersten Bescheid habe die Beklagte bislang nicht entschieden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mainz vom 04.02.2010 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Mainz, auch über die Kosten des Rechtsstreits zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und nimmt zur Begründung Bezug auf den angefochtenen Gerichtsbescheid.

Die Beteiligten haben einer E...

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