Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittel ≪hier Therapie-Tandem≫. keine Kostenübernahme um Krankenbehandlung zu sichern oder Behinderung auszugleichen. Radfahren. kein Grundbedürfnis des täglichen Lebens
Orientierungssatz
1. Um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, ist ein Therapie-Tandem nicht notwendig, weil eine regelmäßige Krankengymnastik nicht nur ausreicht, sondern sogar gezielter und vielseitiger die angestrebten Verbesserungen der körperlichen und seelischen Verfassung des Versicherten erreichen kann (vgl BSG vom 21.11.2002 - B 3 KR 8/02 R = USK 2002-88).
2. Um eine Behinderung auszugleichen, ist ein Therapie-Tandem ebenfalls nicht erforderlich.
3. Radfahren gehört nicht zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens und führt daher ebenfalls nicht zu einem Anspruch des behinderten Menschen auf ein Hilfsmittel (vgl BSG vom 21.11.2002 - B 3 KR 8/02 R = aaO).
Tatbestand
Umstritten ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Versorgung mit einem Therapie-Tandem als Hilfsmittel hat.
Die 1991 geborene, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin, die in häuslicher Gemeinschaft mit ihrer nicht berufstätigen Mutter, ihrem Vater und ihrer siebenjährigen Schwester lebt, leidet an einem Down-Syndrom. Daneben liegen bei ihr nach orthopädischer Feststellung eine Insuffizienz der Haltungsmuskulatur, eine Wirbelsäulenfehlhaltung und eine leichte Hüftdysplasie vor. Sie erhält jeweils einmal pro Woche Krankengymnastik und Ergotherapie.
Die Klägerin beantragte unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung die Gewährung eines Therapie-Tandems. Die Ärztin im Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) W. führte in ihrem Gutachten vom 16.6.2004 aus: Bei dem Therapie-Tandem handele es sich nicht um ein zugelassenes Hilfsmittel. Bei der Klägerin sei dieses nicht zur Mobilitätsverbesserung oder aus therapeutischen Gründen indiziert. Es sei davon auszugehen, dass bei ihr ausreichende Möglichkeiten zur sozialen Integration und Kommunikation durch den Kontakt mit den Eltern, der Schwester und den täglichen Besuch der Behindertenschule gegeben seien. Mit Bescheid vom 2.7.2004 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag der Klägerin ab.
Zur Begründung ihres hiergegen eingelegten Widerspruchs machte die Klägerin geltend: Mit ihrem derzeitigen Fahrrad könne sie nicht am Straßenverkehr teilnehmen. Das Therapie-Tandem sei ferner dazu geeignet, ihren Muskulaturaufbau sowie den Gleichgewichtssinn und die Grobmotorik zu trainieren. Außerdem wirke sich das Fahrradfahren auf ihre Integration aus, da sie an Unternehmungen teilnehmen könne, an denen sich auch Nichtbehinderte beteiligten. Der Arzt im MDK E. schloss sich in seinem Gutachten vom 15.9.2004 der Auffassung der Ärztin W. an. Er führte ua aus, die Sicherstellung des Muskelaufbaus sowie das Training des Gleichgewichtssinnes und der Grobmotorik sei auch mit einem Kinderrad mit Stützrädern problemlos möglich. Bei der vorliegenden Eigenmobilität der Klägerin sei die Integration in die Gruppe Gleichaltriger ohne Therapie-Tandem möglich. Im Hinblick darauf wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23.11.2004 zurückgewiesen.
Am 6.12.2004 hat die Klägerin Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Behinderungsbedingt könne sie keine längeren Wegstrecken zu Fuß zurücklegen; ihr fehle gänzlich die Möglichkeit zur eigenständigen, von der Hilfe Dritter unabhängigen freien Fortbewegung. Ohne Eigengefährdung könne sie ein Fahrrad mit Stützrädern nicht benutzen, da sie nicht zugleich Rad fahren und auf den Verkehr achten könne. Ihre Bewegungsfreiheit in einem Umkreis, der mit einem von einem behinderten Menschen selbst handbetriebenen Rollstuhl erreicht werden könne, sei nicht mit einem bloßen Kinderfahrrad mit Stützrädern zu erzielen. Ein Therapie-Tandem sei geeignet, diese Defizite zumindest teilweise auszugleichen. Aufgrund dessen Bauart sei der Therapiezweck, nämlich Förderung der Koordination zwischen linker und rechter Körperhälfte, Balancesicherheit, psychisches und physisches Durchhaltevermögen, Verbesserung der Grobmotorik und umfassendes Muskeltraining, gewährleistet. Der Einwand, dass diese Zwecke mit Krankengymnastik erreichbar seien, gehe fehl. Dies belege bereits der Umstand, dass bei ihr trotz ihrer regelmäßigen Krankengymnastik eine allgemeine Muskelschwäche bestehe, die sich kontraproduktiv auf die vorhandene Wirbelsäulenfehlstellung auswirke. Ein Therapie-Tandem sei besonders für jugendliche behinderte Menschen in der Entwicklungsphase wichtig, um ihren verstärkten Bewegungsdrang zu befriedigen und den Kontakt mit gesunden Altersgenossen aufrecht zu erhalten, zumal es auch in Begleitung gesunder Jugendlicher genutzt werden könne. Dementsprechend habe auch die Kinder- und Jugendärztin Dr Liebhold mit Bescheinigung vom 1.7.2002 die Versorgung mit dem Therapie-Tandem empfohlen.
Durch Gerichtsbescheid vom 28.9.2005 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden Bezug genommen (...