Entscheidungsstichwort (Thema)
Erziehungsgeldanspruch. Ausländer. Visum. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erziehungsgeld ersetzt ein Visum eine Aufenthaltserlaubnis nicht. Dies verstößt nicht gegen Art 3 iV mit Art 6 GG.
Orientierungssatz
Die Richtlinien zum Erziehungsgeld sind nur verwaltungsinterner Natur und generell nicht geeignet, nach den gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegebene Rechtsansprüche auszulösen.
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 8.6.2004 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist ein Anspruch auf Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) für die Zeit vom 9.3. bis 31.5.2002.
Die 1970 geborene Klägerin ist russische Staatsangehörige. Sie ist Mutter ihrer am 2002 geborenen Tochter A und seit dem 12.5.2000 mit dem 1958 geborenen V W verheiratet, der als Spätaussiedler anerkannt ist. Beide reisten am 9.3.2002 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Der Klägerin wurde hierzu ein Visum, gültig vom 22.2. bis zum 21.5.2002, mit folgendem Zusatz erteilt: “Gilt zur gemeinsamen Einreise mit W V , geb am 58. Gültig nur bei Fortbestand der Ehe mit W V , geb am 58".
Mit Bescheid des Arbeitsamts Montabaur vom 25.4.2002 wurde dem Ehemann der Klägerin Eingliederungshilfe für die Zeit vom 11.3. bis zum 6.9.2002 zuerkannt. Ein Antrag der Klägerin auf diese Leistung wurde vom Arbeitsamt Westerburg durch Bescheid vom 17.4.2002 abgelehnt. Zur Begründung hieß es, Anspruch auf Eingliederungshilfe habe nur, wer Spätaussiedler iSd § 4 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) oder Ehegatte bzw Abkömmling nach § 7 Abs 2 BVFG sei; diese Voraussetzung habe die Klägerin bisher nicht nachgewiesen und erfülle sie nach dem vorgelegten Registrierschein nicht.
Mit am 26.4.2002 bei der Kreisverwaltung für den Westerwaldkreis eingegangenem ausgefülltem Formular beantragte die Klägerin die Gewährung von Erziehungsgeld für A . Der Beklagte bewilligte der Klägerin, der am 18.6.2002 eine bis zum 17.6.2003 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde, mit Bescheid vom 28.6.2002 ab dem 1.6.2002 Erziehungsgeld in Höhe von monatlich 306,78 €. Zur Begründung wurde ausgeführt, aufgrund der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ab dem 18.6.2002 habe die Klägerin gemäß § 1 Abs 6 BErzGG Anspruch auf Erziehungsgeld ab dem 1.6.2002.
Mit ihrem hiergegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihr stehe auch für die Zeit ihres Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland vor dem 1.6.2002 Erziehungsgeld zu. Durch Widerspruchsbescheid vom 28.8.2002 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung hieß es: Nach § 1 Abs 6 BErzGG erhalte ein Ausländer mit Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union oder eines der Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraumes Erziehungsgeld nach Maßgabe von § 1 Abs 1 bis 5 BErzGG. Die Klägerin gehöre als russische Staatsangehörige nicht diesem Personenkreis an. Ein anderer Ausländer sei anspruchsberechtigt, wenn er ua eine Aufenthaltserlaubnis besitze. Da dies bei der Klägerin erst ab dem 18.6.2002 der Fall sei, stehe ihr Erziehungsgeld für die Zeit vor dem 1.6.2002 nicht zu. Zwar führe ein Visum, das zum Zweck der Familienzusammenführung ausgestellt sei, ebenfalls zur Gewährung von Erziehungsgeld. Diese Voraussetzung sei aber bei der Klägerin nicht gegeben, da diese mit ihrem Ehemann gemeinsam nach Deutschland eingereist sei und nicht im Zusammenhang mit einer Familienzusammenführung.
Am 18.10.2002 hat die Klägerin Klage erhoben, mit welcher sie Erziehungsgeld für die Zeit vom 9.3. bis zum 31.5.2002 beantragt hat. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 8.6.2004 abgewiesen und zur Begründung dargelegt: Der Klägerin stehe für den streitigen Zeitraum kein Erziehungsgeld zu, da sie seinerzeit keine Aufenthaltserlaubnis gehabt habe. Nicht ausreichend sei, dass der Ausländer einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels habe. Vielmehr komme der Entscheidung der Ausländerbehörde Tatbestandswirkung zu. Ein Aufenthaltstitel wirke selbst dann nicht zeitlich zurück, wenn der Beginn der Geltungsdauer des Titels auf einen Zeitpunkt vor seiner tatsächlichen Erteilung zurückreiche (Hinweis auf Bundessozialgericht - BSG -, 2.10.1997, 14 REg 1/97). § 1 Abs 6 Satz 4 BErzGG gelte nicht für eine erstmalige Erteilung der Aufenthaltserlaubnis. Schließlich lasse sich ein für die Klägerin günstiges Ergebnis auch nicht aus Nr 1.11 Abs 7 der Richtlinien zur Durchführung des BErzGG herleiten. Hiernach reiche ein Sichtvermerk (Visum) als Voraussetzung für einen Anspruch auf Erziehungsgeld aus, wenn es zum Zwecke der Familienzusammenführung ausgestellt ist. Über ein solches Visum habe die Klägerin nicht verfügt; ihr sei vielmehr ein Visum zur gemeins...