Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Pflegeversicherung. Gewährung eines Wohngruppenzuschlags. gemeinschaftliche Beauftragung einer Präsenzkraft. Wortlautauslegung des § 38a Abs 1 S 1 Nr 3 SGB 11. "Person" muss im Sinne einer einzigen Person benannt sein. keine Verletzung von Art 2 Abs 1 GG

 

Orientierungssatz

1. Nach § 38a Abs 1 S 1 Nr 3 SGB 11 müssen die Mitglieder der Wohngruppe eine bestimmte, namentlich benannte natürliche Person als Präsenzkraft nicht nur gemeinschaftlich auswählen, sondern auch gemeinschaftlich beauftragen. Der Wortlaut der Norm ist eindeutig und daher keiner weiteren Auslegung zugänglich.

2. Aus dem Wortlaut des § 38a Abs 1 S 1 Nr 3 SGB 11 folgt, dass eine Person im Sinne einer einzigen Person benannt sein muss.

3. Durch dieses Verständnis des Begriffs "Person" wird eine Pflegebedürftige nicht in ihrem Grundrecht aus Art 2 Abs 1 GG verletzt.

4. Handelt es sich bei einer Wohngruppe um eine gemeinnützig tätige Einrichtung eines Caritasverbandes und ist der Caritasverband zugleich mit der Sicherstellung der in § 38a Abs 1 S 1 Nr 3 SGB 11 genannten Leistung beauftragt, so unterscheidet sich die Versorgung der Wohngruppe deutlich von einer ambulanten Versorgung und Pflege im häuslichen Bereich. Dadurch, dass diese Leistungen sozusagen aus einer Hand angeboten und sichergestellt werden, entsprechen die tatsächlichen Verhältnisse vielmehr einer vollstationären Pflege bzw einem betreuten Wohnen. Für derartige Wohnformen ist die Zahlung eines Wohngruppenzuschlags jedoch nicht gedacht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 10.09.2020; Aktenzeichen B 3 P 3/19 R)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 15.10.2018 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung eines Wohngruppenzuschlags nach § 38a Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI).

Die 1930 geborene Klägerin ist bei der Beklagten pflegeversichert. Mit Schreiben vom 23.01.2018 beantragte sie bei der Beklagten die Gewährung eines Wohngruppenzuschlages. Sie werde ab dem 26.01.2018 in einer ambulant betreuten Wohngruppe („K.-WG“) wohnen, in der noch elf weitere Personen wohnten, die sämtlich ebenfalls ambulante Pflegeleistungen erhielten. Sie habe gemeinsam mit ihren Mitbewohnern C. K. beauftragt, organisatorische, verwaltende, betreuende und das Gemeinschaftsleben fördernde Leistungen zu erbringen sowie hauswirtschaftliche Unterstützung zu leisten. Frau K. sei an drei Tagen pro Woche anwesend, ansonsten seien andere Präsenzkräfte über 24 Stunden vor Ort. Beigefügt war dem Antrag ein Grundriss der GbR „E. H.“. Ergänzend legte die Klägerin den zwischen ihr und der GbR „E. H.“ als Eigentümerin der Wohn- und Gemeinschaftsräume der Wohngemeinschaft K.-WG geschlossenen Mietvertrag sowie einen jeweils zwischen ihr und dem Caritasverband Westeifel eV geschlossenen Pflegevertrag und „Mieterversorgungsvertrag“ vor. In der Präambel zu dem Mietvertrag ist ausgeführt, dass es sich bei der Wohngemeinschaft K.-WG um eine gemeinnützig tätige Einrichtung des Caritasverbandes Westeifel eV handelt.

Mit Bescheid vom 18.04.2018 lehnte die Beklagte unter Beifügung eines die Voraussetzungen des Wohngruppenzuschlages erläuternden Merkblattes die Zahlung eines Wohngruppenzuschlags ab. Bei der von der Klägerin gewählten Unterbringungsform handele es sich um eine Form des betreuten Wohnens, die Merkmale einer stationären Einrichtung aufweise (Hinweis auf Punkte 4 und 5 des Merkblattes).

Ihren hiergegen eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass sich die Bewohner jederzeit in die Gestaltung ihrer Wohngruppe einbringen und auch die Angehörigen einbezogen werden könnten. Ebenso seien die Bewohner in ihrem Wahlrecht bezüglich Präsenzkraft und Pflegedienst frei. Ein wesentlicher Unterschied zu einer vollstationären Pflegeeinrichtung bestehe auch darin, dass die einzelnen Pflege-, Betreuungs- und Hauswirtschaftsleistungen nur nach der Wahl der Bewohner der Wohngemeinschaft abgerufen und auch bezahlt werden müssten. Die Verträge für Vermietung und Pflege seien rechtlich getrennt und könnten auch getrennt gekündigt werden, so dass die Bewohner der Wohngemeinschaft sich theoretisch auch einen anderen Pflegedienst suchen könnten. Darüber hinaus habe das Bundessozialgericht (BSG) in einem Urteil vom 18.02.2016 (B 3 P 5/14 R) geäußert, dass ein Anspruch auf den Wohngruppenzuschlag auch bei einer von einem Pflegedienst organisierten Wohngemeinschaft bestehe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.07.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es sei keine gemeinschaftliche Beauftragung einer Präsenzkraft erfolgt. Zudem habe die Klägerin in ihrem Antrag angegeben, dass täglich eine Betreuung für 24 Stunden/rund um die Uhr durch verschiedene Präsenzkräfte erfolge. Es handele sich daher um keine Wohngemeinschaft im Sinne von (iSv) § 38a Abs 1 Nr 1 SGB XI.

Am 10.08.2018 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Trier e...

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