Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. kein Anspruch auf Behandlung mit Arzneimittel auf Cannabis-Grundlage zur Schmerztherapie. chronisch muskuloskelettales Schmerzsyndrom. keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung. keine notstandsähnliche Situation
Orientierungssatz
Bei einem chronisch muskuloskelettalen Schmerz-Syndrom handelt es sich nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung iS der Rechtsprechung des BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 bzw eine notstandsähnliche Situation die eine Versorgung mit einem nicht zugelassenen Arzneimittel auf Cannabis-Grundlage (hier: Dronabinol) rechtfertigen würde (vgl BSG vom 27.3.2007 - B 1 KR 30/06 R).
Nachgehend
Tenor
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Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 29.02.2008 wird zurückgewiesen. |
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Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. |
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Die Revision wird nicht zugelassen. |
Tatbestand
Streitig ist die Einstandspflicht der Beklagten für eine Behandlung mit einem Arzneimittel auf Cannabis-Grundlage.
Die 1955 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin leidet an einem chronischen muskuloskelettalen Schmerz-Syndrom, einem Status nach ventraler Diskektomie Halswirbelkörper 4/5 und Halswirbelkörper 5/6 mit Cage-Interponat 2004, einer chronischen rechtsseitigen Cervicobrachialgie und Nuchalgie, einer Arthrose des Humeroscapular Gelenkes linksbetont und rezidivierenden depressiven Episoden. Seit August 2003 befindet sie sich in Behandlung der Klinik für Anästhesiologie des Universitätsklinikums M, wo sie mit der "Arbeitsdiagnose Fibromyalgie", zunächst im Rahmen einer experimentellen Schmerzstudie, mit Dronabinol behandelt wird. Hierdurch konnten die Schmerzintensität ebenso wie die Messwerte im Fibromyalgie-Impact-Questionare (FIQ) reduziert und eine Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität erzielt werden. Der Pain-Disability-Index nahm ab, Co-Analgetika konnten reduziert werden. 2004 kam es bei der Klägerin zu einer deutlichen Schmerzverschlechterung, nachdem sich eine durch Bandscheibenvorfälle bedingte funktionelle Spinalkanalstenose entwickelt hatte. Nach vorübergehender Besserung durch operative Behandlung kam es phasengleich zum Entzug von Dronabinol zu einer Verschlechterung des körperlichen und psychischen Zustandes mit deutlicher sozialer Rückzugstendenz, progredienter depressiver Stimmungslage mit latenter Suizidalität und Anstieg der Schmerzintensität. Dieser Zustand dauert seit Entzug von Dronabinol an, vom behandelnden Arzt wird daher ein Wiederbeginn der Therapie mit dieser Substanz als essentiell für den weiteren Krankheitsverlauf angesehen (von der Klägerin im Klageverfahren vorgelegter Bericht des Prof Dr K des Universitätsklinikums M vom 28.08.2006). Ein Wiederbeginn der Therapie wurde vom Schmerzzentrum des Universitätsklinikums M im Oktober 2005 davon abhängig gemacht, dass die Klägerin wegen der fehlenden Erstattungsfähigkeit die Kosten ggf selbst trage. Die Beklagte lehnte ihre Einstandspflicht durch Bescheid vom 11.11.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2006 ab, weil der aus der Cannabis-Pflanze gewonnene und im Rahmen einer Rezeptur angefertigte Wirkstoff Dronabinol zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnungsfähig sei. Insoweit greife der Vorbehalt des § 135 Abs 1 S 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), wonach Dronabinol nur nach Prüfung und Empfehlung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss angewandt werden dürfe; eine derartige Empfehlung liege jedoch nicht vor.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 22.05.2006 zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin innerhalb der im Bescheid angegebenen Rechtsmittelfrist von drei Monaten am 22.08.2006 Klage zum Sozialgericht (SG) Speyer erhoben. Das Verfahren hat im Hinblick auf das die Versorgung mit Arzneimitteln auf Cannabis-Grundlage betreffende Revisionsverfahren beim Bundessozialgericht (BSG) - B 1 KR 30/06 R - geruht. In diesem Verfahren hat das BSG durch Urteil vom 27.03.2007 den Ausschluss einer Behandlung mit Dronabinol im Falle einer Schmerzkrankheit bestätigt. Die Klägerin hat nach Fortsetzung des Klageverfahrens unter Vorlage einer Bescheinigung des Allgemeinmediziners Dr K geltend gemacht, dass bei ihr durch herkömmliche Schmerzmittel eine signifikante Erhöhung der Leberwerte eingetreten sei, die sich nach Absetzen der Schmerzmittel normalisiert hätten. Bei erneuter Einnahme von schmerzreduzierenden Medikamenten bestehe wieder die Gefahr einer sehr starken Erhöhung der Leberwerte mit entsprechenden Folgeschäden. Die Klägerin hat geltend gemacht, der bei Behandlung mit herkömmlichen Schmerzmitteln eintretende Leberschaden könne auch die Todesfolge nach sich ziehen, weshalb bei grundrechtsorientierender Auslegung unter Berücksichtigung des Besc...