Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Europarechtskonformität. kein Anspruch auf Sozialhilfe. Prozesskostenhilfe

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ausländerinnen und Ausländer, die über kein materielles Aufenthaltsrecht verfügen oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und die nicht mindestens fünf Jahre ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben, haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.

2. Die Leistungsausschlüsse des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst a und b SGB II sind europarechtskonform.

3. Diese Personen erhalten nach § 23 Abs 3 S 1 Nr 2 und 3 SGB XII jedenfalls dann, wenn sie nicht dem Anwendungsbereich des Europäischen Fürsorgeabkommens (juris: EuFürsAbk) unterfallen, mit Ausnahme von Überbrückungsleistungen gem § 23 Abs 3 S 3 bis 6 SGB XII und angemessenen Kosten der Rückreise, auch keine Leistungen nach dem SGB XII.

4. In einem solchen Fall besteht kein Anspruch auf Prozesskostenhilfe.

 

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über existenzsichernde Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) und hilfsweise nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches - Sozialhilfe - (SGB XII).

Die Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden: Antragsteller) sind tschechische Staatsangehörige und halten sich nach eigenen Angaben seit dem 22. August 2018 im Bundesgebiet auf. Sie lebten zunächst bei der Tochter der Antragstellerin zu 1 bzw. Schwester der Antragsteller zu 2-4 in H. und bezogen bis zum 31. Dezember 2018 vom örtlich zuständigen Grundsicherungsträger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. In dieser Zeit ging die Antragstellerin zu 1 einer geringfügigen Beschäftigung bei der Firma K. GmbH nach.

Nachdem die Wohnung gekündigt worden war und die Tochter der Antragstellerin zu 1 mit ihrer Familie (Partner und drei Kinder) in den Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners und Beschwerdegegners (im Folgenden: Antragsgegner) nach L. W. umzuziehen beabsichtigte, kündigte die Antragstellerin zu 1 ihr bis zum 21. August 2019 befristetes Arbeitsverhältnis und beantragte die Zusicherung zum Umzug beim Antragsgegner. Diese wurde bestandskräftig abgelehnt. Gleichwohl zogen die Antragsteller nach L. W ... Seither leben die genannten neun Personen in einer Wohnung. Die am ... 1972 geborene Antragstellerin zu 1 beantragte am 15. Januar 2019 für sich und ihre am ... 1995 (Antragteller zu 2), ... 2000 (Antragsteller zu 3) und ... 2002 (Antragsteller zu 4) geborenen Söhne beim Antragsgegner erneut existenzsichernde Leistungen. Die Antragstellerin zu 1 gab an, sie habe ihre Erwerbstätigkeit aufgeben und nach W. umziehen müssen, um nicht wohnungslos zu werden. Gleichwohl stellte die Bundesagentur für Arbeit Dessau-Roßlau-Wittenberg mit Datum vom 31. Januar 2019 unangegriffen fest, dass keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit vorliege.

Mit Bescheid vom 1. Februar 2019 lehnte der Antragsgegner die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen mit der Begründung ab, die Antragsteller seien gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen, weil sie sich lediglich zur Arbeitsuche im Bundesgebiet aufhielten.

Hiergegen erhoben die Antragsteller mit Schreiben vom 8. Februar 2019 Widerspruch. Zur Begründung führten sie aus, der Antragstellerin zu 1 stehe aufgrund ihrer bis Ende 2018 ausgeübten Erwerbstätigkeit ein nachgehender Freizügigkeitsanspruch zu. Zudem sei sie auch unfreiwillig arbeitslos geworden, weil die Antragsteller ohne den Umzug wohnungslos geworden wären.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2019 hielt der Antragsgegner an seiner Auffassung fest, wonach die Antragsteller vom Leistungsbezug ausgeschlossen seien.

Daraufhin haben die Antragsteller am 22. Februar 2019 beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und gleichzeitig unter dem Aktenzeichen S 30 AS 167/19 Klage gegen den Widerspruchsbescheid erhoben. Sie haben vorgetragen: Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) verfüge zumindest die Antragstellerin zu 1 über ein fortbestehendes Aufenthaltsrecht, weil sie bis Ende 2018 erwerbstätig gewesen sei. Auch hielten sich die Antragsteller länger als sechs Monate im Bundesgebiet auf, so dass unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG von einem verfestigten Aufenthaltsrecht auszugehen sei. Es bestehe daher zumindest ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII. Ferner sei beabsichtigt, den Antragsteller zu 4 zum Schulbesuch anzumelden, der - ebenso wie seine Brüder - während seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik bislang keine Schule besucht habe. Dies sei wegen fehlender Anmeldung beim Einwohnermeldeamt bisher ni...

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