Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufige Bewilligung von Grundsicherungsleistungen durch einstweiligen Rechtsschutz bei ungeklärten Einkommensverhältnissen des Hilfebedürftigen
Orientierungssatz
1. Ist bei einem unstreitig bestehenden Grundsicherungsbedarf des Hilfebedürftigen allein streitig, ob und in welcher Höhe Einkommen anzurechnen ist, so kann der Leistungsträger über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig entscheiden, wenn zur Feststellung der Voraussetzungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, die Anspruchsvoraussetzungen wahrscheinlich sind und der Hilfebedürftige die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hat.
2. Lassen sich bei einem selbständig Tätigen keine hinreichend sicheren Rückschlüsse auf dessen Einkommen ziehen, so sind dem Hilfebedürftigen bei einem glaubhaft gemachten Anordnungsgrund durch einstweilige Anordnung vorläufig Grundsicherungsleistungen ohne Berücksichtigung eines Einkommens zu bewilligen.
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die den Antragstellern entstandenen notwendigen Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin wendet sich in ihrer Beschwerde gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
Sie ist verpflichtet worden, an die Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 8. Februar bis 30. Juni 2010 350,00 EUR/Monat zusätzliche Leistungen zu gewähren. Die Antragsteller stehen im laufenden Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Die Antragstellerin zu 2. betreibt seit 2004 ein Nagelstudio in ihrer Mietwohnung. Ausweislich des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2007 erzielte sie daraus einen durchschnittlichen monatlichen zu versteuernden Gewinn von 1.008,43 EUR. Nach einer Unterbrechung des Gewerbebetriebes vom August 2007 bis einschließlich Januar 2009 wegen der Geburt ihres dritten Kindes hatte sie nach eigenen Angaben folgende betriebliche Einnahmen und Ausgaben in den Monaten Februar bis November 2009:
|
|
Einnahmen |
Wareneinkauf |
sonstige Ausgaben |
Saldo |
Februar |
69,00 EUR |
297,61 EUR |
83,43 EUR |
- 312,04 EUR |
März |
207,00 EUR |
131,08 EUR |
125,53 EUR |
- 49,61 EUR |
April |
309,50 EUR |
531,86 EUR |
75,00 EUR |
- 297,36 EUR |
Mai |
389,50 EUR |
283,64 EUR |
75,00 EUR |
+ 30,86 EUR |
Juni |
212,00 EUR |
78,23 EUR |
75,00 EUR |
+ 58,77 EUR |
Juli |
236,50 EUR |
72,84 EUR |
75,00 EUR |
+ 88,66 EUR |
August |
276,50 EUR |
203,32 EUR |
75,00 EUR |
- 1,82 EUR |
September |
193,50 EUR |
|
- 75,00 EUR |
+ 118,50 EUR |
Oktober |
227,50 EUR |
91,87 EUR |
75,00 EUR |
+ 60,63 EUR |
November |
265,00 EUR |
135,29 EUR |
75,00 EUR |
+ 54,71 EUR |
Die Antragstellerin zu 2. setzte monatliche 75,00 EUR als Fixkosten an. Im Juni 2009 teilte sie der Antragsgegnerin mit, sie werde von Juli 2009 bis Januar 2010 voraussichtlich durchschnittliche Betriebseinnahmen von etwa 350,00 EUR haben. Hinzu komme eine monatliche Privateinlage von 100,00 EUR. Dem stünden monatliche Ausgaben für Raumkosten i.H.v. 65,00 EUR, Wareneinkäufe i.H.v. 200,00 EUR sowie sonstige Kosten (Kfz-Kosten, Telefon, Werbung und Büromaterial) i.H.v. etwa 50,00 EUR entgegen.
Die Antragsgegnerin bewilligte den Antragstellern mit Bescheid vom 1. Juli 2009 für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2009 vorläufig Leistungen unter Berücksichtigung eines monatlichen Einkommens der Antragstellerin zu 2. i.H.v. 350,00 EUR. Sie rechnete mithin unter Berücksichtigung der Freibeträge des SGB II ein Einkommen i.H.v. 200,00 EUR monatlich an. Die Ausgaben reduzierte die Antragsgegnerin auf insgesamt 100,00 EUR monatlich.
Bei dem von der Antragstellerin zu 2. angegebenen Wareneinsatz müssten die Einnahmen wesentlich höher sein. Aus einem am 30. Juni 2009 gefertigten Vermerk geht hervor, dass die Antragsgegnerin davon ausging, die Antragstellerin zu 2. habe bereits in den Monaten Februar bis Mai 2009 die Waren zur Ausstattung ihres Gewerbes vollständig erworben. Im Rahmen eines Antrages auf Weiterbewilligung von SGB II-Leistungen gab die Antragstellerin zu 2. im Dezember 2009 an, sie werde prognostisch 2010 im Januar 70,00 EUR, im Februar 100,00 EUR, im März 100,00 EUR, im April 150,00 EUR, im Mai 200,00 EUR, im Juni 200,00 EUR sowie im Juli 100,00 EUR Betriebseinnahmen haben. Die voraussichtlichen Ausgaben bezifferte sie hinsichtlich der Wareneinkäufe im Januar auf 50,00 EUR, im Februar und März auf je 100,00 EUR, im April auf 150,00 EUR, im Mai auf 100,00 EUR, im Juni auf 150,00 EUR sowie im Juli auf 100,00 EUR. Sie benannte weiterhin als Raumkosten (incl. Strom, Wasser und Gas) Ausgaben i.H.v. 75,00 EUR/Monat sowie sonstige Kosten i.H.v. etwa 45,00 EUR/Monat.
Mit Bescheid vom 18. Dezember 2009 bewilligte die Antragsgegnerin den Antragstellern für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2010 wiederum vorläufige Leistungen, wobei sie das Einkommen aus dem Gewerbebetrieb in gleicher Höhe wie im vorherigen Bewilligungsabschnitt auf den Bedarf der Antragsteller anrechnete. Gegen den Bescheid...