Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Berufungsfrist. Schriftform der Berufung. eigenhändige Unterschrift. Telefax. wirksame Ausgangskontrolle. unvollständiger Berufungsschriftsatz. Hinweispflicht des Gerichts
Leitsatz (amtlich)
1. Die Schriftform der Berufung iS von § 151 SGG setzt grundsätzlich eine eigenhändige Unterschrift voraus. Ausnahmsweise ist sie auch dann gewahrt, wenn sich aus anderen Anhaltspunkten hinreichend sicher eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, ergibt (vgl BSG vom 24.5.2017 - B 14 AS 178/16 B). Daran fehlt es bei einem Telefax einer Behörde, das mitten im Text endet und weder eine Unterschrift noch eine Schlussformel oder einen sonstigen Abschluss enthält.
2. Eine Behörde ist - in gleicher Weise wie ein Rechtsanwalt - verpflichtet, durch organisatorische Maßnahmen Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristsachen in größtmöglichem Umfang auszuschließen. Dazu gehört eine wirksame Ausgangskontrolle, durch die gewährleistet sein muss, dass fristwahrende Schriftsätze unter normalen Umständen rechtzeitig bei Gericht eingehen. Bei der Übersendung per Telefax hat sich die Überprüfung auch darauf zu erstrecken, ob die Zahl der übermittelten Seiten mit der Seitenzahl des Originalschriftsatzes übereinstimmt.
3. Zu den Fürsorgepflichten des Gerichts (vgl BSG vom 6.7.2016 - B 9 SB 1/16 R) gehört es nicht, ein am vorletzten Tag vor Fristablauf eingegangenes Telefax auf formelle Mängel zu überprüfen und die absendende Behörde ggf auf dessen Unvollständigkeit hinzuweisen (vgl auch BGH vom 21.3.2017 - X ZB 7/15 = MDR 2017, 595).
Tenor
Die Berufung wird verworfen.
Der Beklagte hat der Klägerin auch ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über Leistungen für Kosten der Unterkunft (KdU) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II) für die Monate Oktober 2013 bis März 2014.
Mit Urteil vom 8. August 2018 hat das Sozialgericht (SG) M. den Beklagten unter Abänderung der für diesen Zeitraum ergangenen Bescheide verurteilt, der Klägerin höhere KdU-Leistungen zu zahlen. Die Berufung hat es zugelassen. Das Urteil ist dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 28. August 2018 zugestellt worden.
Am 26. September 2018 ist beim Landessozialgericht (LSG) per Telefax eine zehn Seiten umfassende Berufungsschrift des Beklagten eingegangen. Der Text endet auf Seite 10 unten mitten in einem Satz ohne Abschlussformel, Unterschrift oder Ähnliches. In der vom Faxgerät des Beklagten stammenden Kopfzeile auf dieser Seite findet sich die Angabe "S. 10/10".
Am 2. Oktober 2018 ist das Original dieses Schriftsatzes beim LSG eingegangen. Dieses umfasst zwölf Seiten. Auf Seite 11 finden sich zunächst drei Absätze Text und sodann die Angabe:
"Im Auftrag
M.
Dieses Schreiben wurde maschinell erstellt und ist ohne Unterschrift gültig.
Anlage:
2 Abschriften des Schriftsatzes"
Die gleiche Angabe findet sich (ohne vorhergehenden anderen Text) noch einmal auf Seite 12 oben. Eine handschriftliche Unterschrift enthält der Schriftsatz nicht.
Mit Schreiben vom 24. Oktober 2018, das dem Beklagten am 2. November 2018 zugestellt worden ist, hat der Berichterstatter darauf hingewiesen, dass das Telefax vom 26. September 2018 unvollständig übermittelt worden und dass das Original des Schriftsatzes erst nach Ablauf der Monatsfrist eingegangen sei. Weiter hat er auf Bedenken gegen die Einhaltung der gesetzlichen Schriftform und die Möglichkeit einer Verwerfung der Berufung durch Beschluss hingewiesen.
Daraufhin hat der Beklagte mit Telefax vom 3. Dezember 2018, einem Montag, mitgeteilt, dass seine sämtliche Post auf einen zentralen Bescheiddruck umgestellt worden sei. Die gesamte ausgehende Post werde an ein Unternehmen übermittelt, dort gedruckt, kuvertiert und der Deutschen Post zum Versand zugeführt. Auch der Schriftsatz vom 26. September 2018 sei über dieses System verschickt worden. Zusätzlich sei der Schriftsatz per Telefax an das Gericht übermittelt worden. Aufgrund des nicht vollständig übermittelten Faxes werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Bei dem gewählten Versandweg sei eine Unterschrift nicht möglich. Sie sei auch nicht erforderlich, weil auch ohne Unterschrift eine ausreichende Gewähr für die Urheberschaft der Berufung und den Willen, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, bestanden habe. Das Schreiben habe die Anschrift des Beklagten, den Namen der zuständigen Mitarbeiterin und das Aktenzeichen des angefochtenen Urteils genannt. Die Faxnummer, von der das Berufungsschreiben übermittelt worden sei, sei dem Gericht als Faxnummer des Beklagten bekannt. Außerdem ergebe sich der Wille, Berufung einlegen zu wollen, aus der zusätzlichen Übermittlung per Post und aus dem Inhalt der Berufung. Sie betreffe das Konzept de...