Rechtskraft: Ja

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Beschwerde. Unbilligkeit der Anwaltsgebühr

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die „Außerordentliche Beschwerde” gegen eine endgültige Entscheidung des SG ist nur in Extremfällen (Willkürlichkeit) statthaft.

2. Eine Gebührenfestsetzung des Anwalts gemäß § 116 Abs. 2 BRAGO nach dem Gegenstandswert – hier Gesamtbetrag des lebenslang zu leistenden Blindengeldes – entgegen der Rahmengebührenregelung des § 116 Abs. 1 BRAGO bei Leistungsempfängern ist unbillig und gemäß § 12 BRAGO nicht verbindlich.

 

Normenkette

SGG § 197 Abs. 2, § 172 Abs. 1; BRAGO §§ 12, 116 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

SG Dessau (Beschluss vom 19.12.2002; Aktenzeichen S 5 BL 2/00)

 

Tenor

Die außerordentliche Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts D. vom 19. Dezember 2002 wird verworfen.

 

Tatbestand

I.

Mit der außerordentlichen Beschwerde erstrebt die Klägerin die Festsetzung höherer außergerichtlicher Kosten.

Durch Urteil vom 27. Mai 2002 hatte das Sozialgericht (SG) D. den Beklagten verurteilt, der Klägerin Blindengeld zu gewähren und ihr die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Mit einem Schreiben vom 3. Juni 2002 beantragte deren Prozessbevollmächtigter (Prb.), die Kosten nach einem Gegenstandswert von 10.154,– EUR gem. den §§ 118 und 116 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) für das Vorverfahren in Höhe von 1.228,44 EUR festzusetzen. Mit weiterem Schreiben vom 12. Juni 2002 meldete der Prb. zur Festsetzung als Gebühren für das Gerichtsverfahren gem. § 116 BRAGO einen Betrag von 777,20 EUR an.

Die Kostenbeamtin des SG D. setzte mit Beschluss vom 4. November 2002 die zu erstattenden außergerichtlichen Kosten mit insgesamt 812,– EUR fest. Sie ging für das Klageverfahren von einer Gebühr in Höhe von 2/3 der Höchstgebühr nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO aus, die sich nach dem Einigungsvertrag um 10 v. H. auf 396,– EUR ermäßige. Sie legte für das Vorverfahren unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine auf 2/3 der Rahmengebühr vor dem SG ermäßigte eigene Rahmengebühr in Höhe von 264,– EUR fest. Die vom Prb. beantragten Gebühren seien unbillig.

Gegen den am 9. November 2002 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss hat der Prb. am 14. November 2002 „Widerspruch” (Erinnerung) eingelegt. Er hat für das Vorverfahren eine Gebühr von 533,– EUR, für das Klageverfahren von 650,– EUR als angemessen bezeichnet. Es sei davon auszugehen, dass die heute 12jährige Klägerin für die nächsten 65 Jahre Blindengeld in der zugesprochenen Höhe beziehen werde, woraus sich ein Betrag von 525.000,– EUR ergebe. Danach wäre eine reine Prozessgebühr von 3.146,– EUR angefallen, für die Verhandlung eine weitere Gebühr in gleicher Höhe und für das Vorverfahren in Höhe von über 2.500,– EUR. Daher seien die von ihm angesetzten Kosten angemessen und zutreffend, keinesfalls aber als unbillig zu bewerten.

Durch Beschluss vom 19. Dezember 2002 hat das SG den Rechtsbehelf, welchem die Kostenbeamtin nicht abgeholfen hat, zurückgewiesen. Die Gebührenfestsetzung des Prb. sei unbillig und damit gem. § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO nicht verbindlich, denn sie weiche erheblich von der angemessenen Gebühr ab. Die Urkundsbeamtin habe eine überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit anerkannt und darüber hinaus Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit als leicht über dem Durchschnitt angesehen. Kriterien, die es rechtfertigten, mehr als 2/3 der Höchstgebühr für beide Verfahrensabschnitte anzusetzen, lägen nicht vor. Die Gebührenfestsetzung des Prb. weiche um mehr als 20 v. H. hiervon ab. Sie sei unbillig und daher nicht verbindlich.

Gegen den am 23. Januar 2003 zugestellten Beschluss hat der Prb. am 28. desselben Monats die außerordentliche Beschwerde erhoben. Der angegriffene Beschluss sei wegen Willkür aufzuheben. Es sei ständige Rechtsprechung, dass die Gebühren für das Vorverfahren im sozialgerichtlichen Prozess ausschließlich über den Gegenstandswert zu berechnen seien. Die Kostenbeamtin und das Sozialgericht hätten sich über sämtliche Rechtsprechung zu § 116 BRAGO hinweggesetzt.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts D. vom 19. Dezember 2002 ist unzulässig.

Nach § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet. Gegen den auf Grund dieser Bestimmung ergangenen Beschluss des Sozialgerichts ist somit die Beschwerde zum Landessozialgericht grundsätzlich nicht statthaft (vgl. Meyer-Ladewig: SGG, 7. Aufl. § 172 Rdz. 5, § 197 Rdz. 10). Allerdings ist in Extremfällen auch gegen nicht anfechtbare Beschlüsse die sogenannte außerordentliche Beschwerde gegeben (vgl. Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl., Kap. X Rdnr. 18). Als Extremfälle sind von der Rechtsprechung Entscheidungen...

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