Entscheidungsstichwort (Thema)
Übernahme höherer als angemessener Heizkosten in einem Ausnahmefall durch einstweiligen Rechtsschutz
Leitsatz (amtlich)
1. Überschreiten Heizkosten den entsprechenden Höchstwert des bundesdeutschen Heizspiegels für das jeweilige Abrechnungsjahr nur geringfügig (hier 10 %), kann im einstweiligen Rechtsschutz eine vorläufige Übernahme der Heizkosten erfolgen, wenn der Antragsteller konkret darlegt, weshalb seine Aufwendungen höher sind (hier: besondere klimatische Verhältnisse am Wohnort, hochgelegenes Flusstal im Mittelgebirge). Im Hauptsacheverfahren ist - ggf durch Einholung eines Sachverständigengutachtens - zu prüfen, ob die Heizkosten angemessen sind.
2. Zu den Kosten der Unterkunft und Heizung gehören auch die Stromkosten für den Betrieb der Heizungsanlage. Diese können bei Fehlen eines gesonderten Stromzählers geschätzt werden.
Orientierungssatz
1. Heizkosten sind solange zu erbringen, soweit sie angemessen sind. Die Prüfung erfolgt getrennt von der Angemessenheit der Unterkunftskosten. Als Indiz für ein unwirtschaftliches Heizverhalten kann auf einen kommunalen Heizspiegel, und falls dieser nicht existiert, auf die rechte Spalte des bundesweiten Heizspiegels zurückgegriffen werden.
2. Der Strom für den Betrieb der Heizungsanlage gehört zu den Unterkunftskosten. Ist eine genaue Ermittlung nicht möglich, können diese Kosten geschätzt werden. Im Bundesdurchschnitt wird von 1800 jährlichen Betriebsstunden ausgegangen.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 18. Oktober 2010 wird abgeändert. Der Beschwerdegegner wird verpflichtet, dem Beschwerdeführer für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2010 vorläufig weitere 108,08 EUR zu bewilligen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Beschwerdegegner hat 1/10 der außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeführers für beide Rechtszüge zu erstatten.
Gründe
I.
Der am ... 1964 geborene Beschwerdeführer bezieht seit Januar 2005 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Er bewohnt eine 58,87 qm große Eigentumswohnung im ersten Obergeschoss eines 1962 erbauten Hauses. Dieses besteht aus vier Wohneinheiten und ist nicht wärmegedämmt. In der Wohnung des Beschwerdeführers sind noch die originalen Doppelfenster vorhanden. Für Hausgeld sind monatlich 112,00 EUR aufzuwenden. Die Beheizung und die Warmwassererwärmung erfolgen über eine Kombigastherme (Roca 20/20 FP) mit einer Stromaufnahme laut Beschwerdeführer von 240 Watt. Er hat im Schreiben vom 25. Februar 2010 an das Sozialgericht Magdeburg angegeben, ein Energieverbrauchsmessgerät zur Erfassung des Stromverbrauchs der Heizung eingebaut zu haben. In der Zeit zwischen dem 10. Februar 2009 und dem 10. Februar 2010 habe der Stromverbrauch 287,69 kw/h betragen.
Der Beschwerdeführer hatte am 13. Februar 2007 die Übernahme einer Reparatur der Gasheizung i.H.v. 238,000 EUR beantragt und eine Rechnungsquittung vorgelegt. Der Beschwerdegegner hatte die Kostenübernahme abgelehnt (Bescheid vom 28. Juni 2007).
Der Beschwerdeführer bezieht Gas von der H. Energie GmbH & Co. KG. Diese hatte ausweislich der Jahresrechnung vom 11. November 2009 in der Zeit vom 6. November 2008 bis 28. Oktober 2009 für einen Gesamtverbrauch Erdgas von 14.581 kWh einen Restbetrag von 171,32 EUR gefordert (Rechnungsbetrag 1.076,22 EUR abzüglich Abschlagszahlungen i.H.v. 920,90 EUR zuzüglich Verzugs- und Bankkosten). Der monatliche Abschlag wurde ab Dezember 2009 auf 79,00 EUR, ab Juli 2010 auf 71,00 EUR sowie - auf Antrag des Beschwerdeführers - für Oktober 2010 auf 83,00 EUR festgesetzt. Im November 2010 war kein Abschlag zu zahlen. Hinsichtlich des geforderten Restbetrags betreibt der Beschwerdeführer bereits ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (S 19 AS 3345/09 B ER; L 5 AS 210/10 NZB).
Der Beschwerdeführer hat ausweislich der Auflistungen der H. Energie GmbH & Co. KG vom 19. Februar 2010 und vom 26. Oktober 2010 zwischen Oktober 2009 und Oktober 2010 Abschlagszahlungen i.H.v. 880,63 EUR aufgebracht. Ausweislich der Jahresrechnung vom 22. Oktober 2010 für die Zeit vom 29. Oktober 2009 bis 8. Oktober 2010 lag der Gesamtverbrauch Erdgas bei 15.444 kWh. Es wurde ein Restbetrag von 445,11 EUR gefordert worden (Rechnungsbetrag 980,42 EUR abzüglich geleisteter Abschlagszahlungen i.H.v. 587,31 EUR zuzüglich Verzugs- und Bankkosten). Der neue Abschlag ist ab Dezember 2010 auf 90,00 EUR/Monat festgelegt worden.
Mit Bescheid vom 19. Januar 2009 hatte der Beschwerdegegner den Beschwerdeführer auf die Unangemessenheit seiner Heizkosten hingewiesen. Angemessen seien nach seiner Richtlinie 1,10 EUR/qm, also 64,90 EUR/Monat (59 qm x 1,10 EUR). Dieser Betrag sei ab Dezember 2008 für die Heizkosten zu bewilligen.
Das Sozialgericht Magdeburg hatte den Beschwerdegegner mit Beschluss vom 30. Januar 2009 (S 25 AS 140/08 ER) verpflichtet, für die Zeit von Januar bis Juni 2009 vorläufig 24,47 EUR/Monat mehr für Heizkosten zu zahlen (86,00 EUR Abschlag + 10,00 EUR Heizungss...