Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung und -berechnung. selbstständige Arbeit. kein horizontaler Verlustausgleich bei Einkommen aus mehreren Gewerbebetrieben

 

Leitsatz (amtlich)

1. Betreibt ein SGB II-Leistungsberechtigter als Selbstständiger mehrere Gewerbe, sind deren Betriebsergebnisse für jede Form der selbstständigen Betätigung gesondert festzustellen. Es hat eine sog betriebsbezogene Einkommensermittlung nach § 3 Alg II-V (juris: AlgIIV 2008) zu erfolgen (Anschluss an BSG vom 17.2.2016 - B 4 AS 17/15 R = BSGE 120, 242 = SozR 4-4200 § 11 Nr 75). Ein horizontaler Verlustausgleich findet im Grundsicherungsrecht nicht statt.

2. Bei der Bewertung, ob die selbstständige Betätigung auf mehreren Geschäftsfeldern als ein zusammenhängendes Gewerbe anzusehen ist oder ob mehrere Gewerbebetriebe vorliegen, kommt es darauf an, ob es sich um trennbare Tätigkeiten oder eine einheitliche Betätigung handelt. Um ein Gewerbe handelt es sich, wenn die einzelnen Tätigkeiten miteinander verflochten sind - ggf so, dass sie sich gegenseitig bedingen. Werden verschiedene, nicht artverwandte Tätigkeiten lediglich nebeneinander ausgeübt, handelt es sich um mehrere Gewerbe. Maßgeblich sind die Umstände im Einzelfall. Dabei sind die gewerberechtliche Situation, die Branchen, die nähere Ausgestaltung der jeweiligen Unternehmen sowie sonstige verbindende bzw trennende Faktoren zu berücksichtigen.

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 5. April 2013 wird abgeändert:

Der "Änderungsbescheid" des Beklagten vom 27. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Januar 2012 wird abgeändert und der Leistungsanspruch des Klägers wird auf 287,00 EUR für Mai 2010, 184,00 EUR für Juni 2010, 495,00 EUR für Juli 2010 sowie jeweils 263,00 EUR für die Monate August bis Oktober 2010 festgesetzt.

Der Erstattungsbescheid des Beklagten vom 27. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 3. Januar 2012 wird auf einen Gesamtbetrag vom 975,53 EUR herabgesetzt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind weder für das Klage- noch für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die endgültige Festsetzung und Erstattung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum von Mai bis Oktober 2010.

Der im Jahr 1955 geborene Kläger und Berufungsbeklagte (im Weiteren: Kläger) stellte am 29. Oktober 2009 bei dem Beklagten einen SGB II-Leistungsantrag. Er gab an, er habe sich von seiner Ehefrau getrennt und derzeit kein Einkommen. Er sei seit 2005 als freier Handelsvertreter tätig gewesen; zuletzt seit Oktober 2007 für die Firma P. GmbH. Er legte die Gewerbeabmeldung zum 14. August 2009 und eine Bescheinigung des Steuerberaters vom 28. Oktober 2009 vor, nach der er aus dieser Tätigkeit seit Juli 2007 keine Einnahmen erwirtschaftet habe. Weiter gab an, er sei seit 2004 Gesellschafter (mit 24,5% der Anteile) und Geschäftsführer der H. Limited und seit 2006 Geschäftsführer (und alleiniger Gesellschafter) der E. GmbH. Aus beiden Tätigkeiten beziehe er kein Gehalt, da die Firmen nicht profitabel seien. Die H. habe ausweislich ihrer Bilanz für das Jahr 2008 zwar einen Überschuss von 14.602,90 EUR erwirtschaftet. Dieser sei jedoch - ausweislich einer Bescheinigung des Steuerberaters - nicht ausgeschüttet worden. Der Kläger erklärte dazu, mit dem Überschuss hätten noch Restarbeiten, insbesondere Bepflanzungen, ausgeführt werden müssen. Die E. GmbH sei aus der Firma K. GmbH hervorgegangen, deren Gesellschaftsanteile er im Wege des Mantelkaufs (eine Geschäftstätigkeit habe nicht mehr stattgefunden) im Januar 2006 für 2.000 EUR gekauft habe. Als Geschäftsführer arbeite er zunächst unentgeltlich. Auch dazu legte er Unterlagen vor. Er besitze einen darlehensfinanzierten Pkw S. F. (Erstzulassung 2006, Kilometerstand 90.000), für den er monatliche Raten von 189,87 EUR zahlen müsse. Es seien noch 10.700,00 EUR abzubezahlen. Er belegte einen monatlichen Kfz-Haftpflichtversicherungsbeitrag von 20,99 EUR. Nach den vorgelegten Kontoauszügen stand das Geschäftskonto bei der D. Bank (Kto.-Nr ...) mit 3.000 EUR im Soll; das Privatkonto bei der D. Bank (Kto.-Nr ...) hatte einen Kontostand von Null. Der Kläger gab an, seine Ehefrau habe ein monatliches Nettoeinkommen von ca. 1.700 bis 1.800 EUR. Er habe kein Vermögen. Zum 1. Dezember 2009 bezog der Kläger eine Einraumwohnung in der D. 8 in W., für die er eine monatliche Gesamtmiete von 280 EUR zu zahlen hatte.

Mit Bescheid vom 19. November 2009 und Änderungsbescheid vom 11. Dezember 2009 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufige Leistungen für den Zeitraum von November 2009 bis April 2010.

Zum 11. Februar 2010 meldete der Kläger unter Angabe der Betriebsstätte "J. 10 in W." ein Gewerbe mit der Tätigkeit: "Aufbau Groß- und Einzelhandel mit Reisen, Drogerieartikel, Nahrungse...

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