Entscheidungsstichwort (Thema)
Verrechnung. Aufrechnung. Verrechnungserklärung. verwaltungsrechtliche Willenserklärung. Ermächtigungserklärung. Verwaltungsakt. Wirksamkeit. Bestimmtheit
Leitsatz (amtlich)
1. Eine wirksame Verrechnung von Beitragsforderungen des Beitragsgläubigers (hier: Einzugsstelle) mit einem Anspruch des Schuldners auf Altersrente verlangt eine wirksame Verrechnungserklärung des Beitragsgläubigers.
2. Die Verrechnungserklärung kann in einem Bescheid des Trägers der Rentenversicherung über die Einbehaltung von Teilbeträgen der Monatsrente enthalten sein. Dies setzt eine hinreichend substantiierte Ermächtigungserklärung des Beitragsgläubigers voraus. Unwirksam ist eine solche Ermächtigungserklärung, wenn sie weder den Grund noch die Berechnung der Höhe der Forderung erkennen lässt.
3. Übersieht die Beitragsgläubigerin, dass bereits die Hälfte der Beitragsforderung getilgt wurde, ist die Ermächtigungserklärung auch nicht hinsichtlich der noch offenen Forderung wirksam. Der Träger der Rentenversicherung konnte nicht erkennen, welche Gesamtschuld er zu verrechnen hatte und ab wann Anspruch auf ungekürzte Rente bestand.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 16. Oktober 2002 sowie der Bescheid der Beklagten vom 18. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2001 werden aufgehoben.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Verrechnung von geschuldeten Gesamtsozialversicherungsbeiträgen mit einem Rentenanspruch nach Abschluss der Gesamtvollstreckung und Erteilung einer Restschuldbefreiung.
Der 1938 geborene Kläger war Inhaber der Firma J. P. Bauunternehmen. Mit Beschluss des Amtsgerichts Halle-Saalkreis wurde am 1. August 1996 das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen des Klägers nach der Gesamtvollstreckungsordnung (GesO) eröffnet. Die Beigeladene meldete dort Beitragsforderungen in Höhe von 124.694,89 DM an, die vom Kläger zunächst bestritten und dann nachträglich von dem Gesamtvollstreckungsverwalter anerkannt wurden. Im Schlusstermin am 17. August 2000 genehmigte das Amtsgericht Halle-Saalkreis den Verteilungsvorschlag des Verwalters. Der Beigeladenen wurde ein Betrag von 60.435,62 DM (46,31 % und 1,01 % Nachverteilung) ausgezahlt. Das Landgericht Halle gewährte dem Kläger mit rechtskräftigem Beschluss vom 21. September 2000 (Az. 14 T 376/00) gemäß § 18 Abs. 2 Satz 3 GesO Restschuldbefreiung insoweit, als eine Einzelzwangsvollstreckung in sein Vermögen nur dann stattfinden könne, wenn er über ein angemessenes Einkommen hinaus zu neuem Vermögen gelangt sei.
Die Beigeladene hatte bereits mit Formblatt vom 8. Juni 1996, eingegangen am 15. Juli 1996, die Beklagte zur Durchführung einer Verrechnung über einen einziehbaren und nicht verjährten Gesamtsozialversicherungsbeitrag in Höhe von 124.992,09 DM für die Zeit vom 1. September 1995 bis zum 31. März 1996 einschließlich Säumniszuschlägen/Zinsen ermächtigt. Die Ermächtigung enthielt keinen Hinweis auf den Rechtsgrund der Forderung oder einen Nachweis für die bestehende Forderung.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 13. Oktober 2000 Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige ab dem 1. August 1999 und errechnete ab dem 1. Dezember 2000 eine monatliche Rente in Höhe von 2.164,46 DM. Den Nachzahlungsbetrag von 34.490,56 DM behielt sie vorläufig ein. Im Rahmen eines Erstattungsanspruchs überwies sie dem zuständigen Sozialhilfeträger 2.641,86 DM und zahlte dem Kläger die Hälfte der verbleibenden Nachzahlung in Höhe von 15.924,35 DM aus (Bescheid vom 27. November 2000). Von einer weiteren Rentennachzahlung in Höhe von 1.034,75 DM überwies die Beklagte dem Sozialhilfeträger weitere 369,98 DM und zahlte dem Kläger die Hälfte der verbliebenen Nachzahlung in Höhe von 332,39 DM aus (Bescheid vom 19. Dezember 2000). Die in der Folgezeit sich ergebenden Rentennachzahlungen sind jeweils ungekürzt an den Kläger ausgekehrt worden.
Die Beigeladene teilte am 14. November 2000 und am 13. Februar 2001 der Beklagten mit, sie halte an dem Verrechnungsersuchen fest und korrigiere den Betrag der Forderung auf 93.497,27 DM. Da die Rente nicht in die Insolvenzmasse falle, sei eine Verrechnung weiter möglich. Unerheblich sei, ob das Verrechnungsersuchen vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt worden sei. Auch die Anmeldung der Forderung im Gesamtvollstreckungsverfahren stehe der Verrechnung nicht entgegen. Schließlich sei eine Restschuldbefreiung nicht schädlich, da die Verrechnung keine Vollstreckungsmaßnahme im Sinne der GesO darstelle.
Die Beklagte hörte den Kläger unter dem 2. März 2001 über die beabsichtigte Verrechnung der Rente mit ausstehenden Sozialversicherungsbeiträgen vom 1. September 1995 bis zum 31. März 1996 der forderungsberechtigten Beitragseinzugsstelle IKK Sachsen-Anhalt in Höhe von 93.497,27 DM an. Es sei beabsichtigt, die Hälft...