Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. abweichende Erbringung von Regelleistungen. Übernahme der Kosten für Lern- und Arbeitmittel für die Schule. unabweisbarer Bedarf. Darlehensgewährung. Verfassungsmäßigkeit. kein Sonderbedarf. kein Mehrbedarf. keine atypische Bedarfslage. kein Anspruch auf Hilfe in sonstigen Lebenslagen, Eingliederungshilfe und aus dem UNKRÜbk
Orientierungssatz
1. Kosten für zu beschaffende Lern- und Arbeitsmittel für die Schule stellen einen unabweisbaren Bedarf nach § 23 Abs 1 SGB 2 dar.
2. Die Regelung des § 23 Abs 1 S 3 SGB 2 verstößt im Hinblick auf die entsprechende Regelung der §§ 27, 37 Abs 2 SGB 12 nicht gegen Art 3 GG.
3. Eine verfassungskonforme Erweiterung des § 23 Abs 3 S 1 SGB 2 auf Lernmittel ist ausgeschlossen.
4. Leistungen für Lern- und Arbeitsmittel sind Bestandteil des Regelleistung und somit auch nicht von der abschließenden Regelung des § 21 SGB 2 erfasst.
5. Eine Kostenübernahme ergibt sich auch nicht aus §§ 54 und 73 SGB 12.
6. Aus dem UNKRÜbk lässt sich kein Anspruch auf die Finanzierung von Lern- und Arbeitsmittel entnehmen.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 22. Mai 2007 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Beklagte wendet sich mit der Berufung gegen seine Verurteilung zur Leistung einer einmaligen Beihilfe für Schul- und Arbeitsmittel für die Kläger zu 1. bis 3..
Der ... 1992 geborene Kläger zu 1., der ... 1997 geborene Kläger zu 2. sowie der ... 1999 geborene Kläger zu 3. leben zusammen mit ihrer Mutter, Frau A K und zwei weiteren Brüdern in einer Bedarfsgemeinschaft. Sie beziehen seit 1. Januar 2005 vom Beklagten Sozialgeld nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Mit Bescheid vom 27. Juni 2006 bewilligte der Beklagte ihnen und den anderen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft Leistungen i. H. v. 889,37 €/Monat für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2006. Mit Schreiben vom 30. Juni 2006 beantragten die Kläger, die Kosten für den Schulbedarf (Arbeitsmittel, Arbeitsmaterialien) zu übernehmen. Sie hätten keinerlei Rücklagen bilden können. Zusätzlich zu den Kosten der anstehenden Einschulung des Klägers zu 3. fielen für ihn außer den Arbeitsmitteln und des Schulbedarfs die kompletten Kosten für die Lehrbücher an. Die verwendeten Lehrbücher würden unterrichtsbezogen von den Schülern beschrieben. Es bestehe daher keine Möglichkeit, ein Leihexemplar zu erwerben. Dem Antrag fügten sie Bestelllisten für Bücher sowie Listen von zu beschaffenden Arbeitsmaterialien und weiteren Schulutensilien bei. Der Antrag umfasste auch den Schulbedarf des Klägers zu 1. für die Sekundarschule und den des Klägers zu 2. für die Grundschule. Weiterhin sollten die Kosten für die Einschulung des Klägers zu 3. (Kosten für die Feier einschließlich der Schultüte und u. a. Turnzeug) vom Beklagten übernommen werden (hinsichtlich der Einzelheiten der begehrten Materialien wird auf Bl. 43 bis 49 der VA Bezug genommen).
Mit Bescheid vom 5. Juli 2006 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Die begehrten Bedarfe seien grundsätzlich aus der Regelleistung zu decken. Die Aufstockung des Regelsatzes vor Inkrafttreten des SGB II um 16% sowie der Vermögensfreibetrag von 750,00 € pro Mitglied der Bedarfsgemeinschaft sollten es den Leistungsempfängern ermöglichen, Geld für die Finanzierung solcher Bedarfe zurückzulegen. Eine gesetzliche Regelung für Sonderbedarfe fehle.
Unter dem 11. Juli 2006 legten die Kläger gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Sie verfügten über keine Ersparnisse, mithin auch nicht über den Vermögensfreibetrag. Stetig steigende Preise für den täglichen Bedarf sowie für schulische Aktivitäten fänden keine Berücksichtigung. Sie benötigten Lebensmittel und Bekleidung. Da mit der Deckung dieser Bedarfe die an sie geleisteten Zahlungen erschöpft seien, sei die Verwirklichung ihrer rechtlichen Ansprüche auf eine individuelle, altersgerechte Entwicklung nicht möglich. Sie verwiesen auf die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen von 1989.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. August 2006 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Neben den bereits im Ablehnungsbescheid geäußerten Argumenten verwies er darauf, dass auch eine darlehensweise Übernahme der Kosten nicht in Betracht komme. In der Regelleistung sei ein Anteil von 16% für einmalige Leistungen enthalten. Bezogen auf die der Mutter gezahlten Regelleistung und des Sozialgeldes der Kinder seien dies 165,00 €/Monat. Die Kläger könnten die vom Beklagten angenommenen Kosten von 108,20 € davon begleichen.
Gegen den Bescheid haben die Kläger am 22. August 2006 Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben und gleichzeitig um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.
Mit Beschluss vom 6. September 2006 hat das SG im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (S 8 AS 953/06 ER) den Beklagten verpflichtet, den Klägern für den Erwerb von Lern- und Arbeitsmitteln 198,65 € vorläufig als...