Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Verordnung von Arzneimitteln. Ausweitung der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung iS der Rechtsprechung des BVerfG in Fällen einer lebensbedrohenden, tödlich verlaufenden Erkrankung auf notstandsähnliche Fallgestaltungen. kein Sachleistungsanspruch auf Lorenzos Öl bei Adrenomyeloneuropathie. kein Heil- oder Hilfsmittel
Leitsatz (amtlich)
Einzelfallentscheidung zu der Frage, ob ein AMN-Erkrankter unter Berufung auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 - "Nikolausbeschluss" die Versorgung mit dem Lebens- oder Arzneimittel "Lorenzos Öl" verlangen kann.
Orientierungssatz
1. "Lorenzos Öl" ist kein Heilmittel iS von § 32 SGB 5.
2. "Lorenzos Öl" ist ebenso wenig Hilfsmittel iS von § 33 Abs 1 SGB 5.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 24. März 2006 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Behandlung mit den Ölen Glycerol-Trioleat (GTO) und Glycerol-Trierucat (GTE; als Gemisch beider Öle im Weiteren "Lorenzos Öl") zu Lasten der beklagten Krankenversicherung.
Der 1956 geborene und bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger leidet seit ca. 1986 an einer Adrenomyeloneuropathie (AMN), einer vererbbaren Erkrankung, die zu einer Störung im Stoffwechsel der langkettigen Fettsäuren und zu deren Anhäufung im Blut und verschiedenen Organen führt. Die AMN ist eine Verlaufsform der x-chromosomalen Adrenoleukodystrophie im Erwachsenenalter. Diese führt zu Lähmungserscheinungen, Blasen-, Potenz- und Gefühlsstörungen sowie zu einer Unterfunktion der Nebennierenrinde. Unmittelbare Lebensgefahr besteht für den Kläger nicht. Langzeitstudien zeigen, dass etwa 20 % der Patienten mit AMN im Verlauf von etwa zehn Jahren nach Beginn der Erkrankung entzündliche Entmarkungsherde im Gehirn entwickeln, die zu schweren neurologischen Ausfällen oder Tod führen.
Nach einem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt (MDK) vom 5. September 2000 lag bei dem Kläger u. a. eine spastische Spinalparalyse beider Beine mit einer beginnenden Lähmung des rechten Armes vor. Mit Hilfsmitteln und Begleitung sei der Kläger im Wohnbereich eingeschränkt mobil. Weiterhin bestehe eine Stuhlinkontinenz.
Mit Schreiben vom 11. November 2001 beantragte Herr K. - Chefarzt der Neurologischen Klinik des S. Krankenhauses H. - für den Kläger die Übernahme der Kosten für eine spezielle diätische Therapie. Hierbei würden in der vom Kläger zu erlernenden Basisdiät quasi medikamentenähnlich bestimmte Spezialöle (GTO/GTE) in bestimmter Dosierung zugeführt und dadurch die Ansammlung der krankmachenden sehr langkettigen Fettsäuren verhindert. Unter dieser Therapie komme es - so Herr K. - im Verlauf weniger Monate zur Normalisierung der krankhaft erhöhten Blutwerte. Dies werde daher mittlerweile als Basistherapie angesehen. Ins-besondere bei erwachsenen Patienten zeige sich eine Stabilisierung der klinischen Symptomatik und im Einzelfall Besserung. Auch das Auftreten der Erkrankung bei noch symptomlosen Trägern könne verzögert oder auch ganz verhindert werden. Die Kosten beliefen sich zurzeit auf 1.000,00 bis 1.500,00 DM/Monat.
Auf Bitten der Beklagten erstattete der MDK unter dem 27. Dezember 2001 ein Gutachten zu der Frage, ob eine medizinische Notwendigkeit für eine Therapie mit "Lorenzos Öl" bestehe. Danach variieren die Verlaufsformen der AMN erheblich von asymptomatischen Formen bis zu schweren Fällen mit erheblichen neurologischen oder endokrinologischen Ausfällen. Eine Vorhersage sei äußerst schwierig. Bei dem zur Therapie eingesetzten Öl handele es sich um kein Arzneimittel, so dass eine Übernahme durch die Krankenversicherung ausgeschlossen sei. Es fehle auch ein wissenschaftlicher Nachweis eines Behandlungserfolges im Sinne einer statistischen Relevanz.
Mit Bescheid vom 31. Januar 2002 lehnte die Beklagte den Antrag unter Hinweis auf das Ergebnis des Gutachtens des MDK ab. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und verwies auf die Aussage von Herrn K., wonach die Einnahme dieses Spezialöls erfolgversprechend sei. Der MDK führte in einem weiteren von der Beklagten eingeholten Gutachten vom 24. Juni 2002 aus, bei Erwachsenen sei der Verlauf der Erkrankung unbehandelt nur langsam fortschreitend und könnte daher als prognostisch günstig eingeschätzt werden. Es handele sich bei den Spezialölen nicht um Arzneimittel, weshalb eine Leistungspflicht der Krankenkasse nicht bestehe. Als Nahrungsmittel komme eine Kostenübernahme für "Lorenzos Öl" nicht in Betracht. Mit Bescheid vom 5. August 2002 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und stützte sich im Wesentlichen auf das Gutachten des MDK.
Hiergegen hat der Kläger noch im gleichen Monat Klage erhoben und vorgetragen, es handele sich bei dem Spezialöl keinesfalls um eine Mehraufwendung, die eine Diät- oder Kranken...