Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen aG. Gleichstellung mit den in Abschn 2 Nr 1 zu § 46 Nr 11 StVOVwV genannten Personen. Notwendigkeit einer weit geöffneten Wagentür
Leitsatz (amtlich)
Der Bedarf an möglichst großen Parkflächen, um für den Ausstieg eines behinderten Menschen die Fahrertür eines Autos weit öffnen zu können, genügt allein nicht, um die Voraussetzungen für das Merkzeichens "aG" zu erfüllen.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist, ob bei der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) vorliegen.
Die am ... 1953 geborene Klägerin beantragte erstmals am 3. September 1991 die Feststellung von Behinderungen wegen einer angeborenen einseitigen Lähmung rechts, einer unfallbedingten Sprunggelenksverletzung links, Hüftbeschwerden rechts und Kurzsichtigkeit. Nach Einholung von medizinischen Unterlagen schätzte der Beteiligte ärztliche Dienst des Beklagten den Grad der Behinderung (GdB) wegen einer spastischen Lähmung rechts (60), einem Wirbelsäulenschaden mit Funktionsbehinderung (20) und einer Sehbehinderung (10) insgesamt mit 60 ein und hielt die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) für gegeben. Dem folgend stellte der Beklagte (damals: Versorgungsamt H.) mit Bescheid vom 25. August 1992 einen Grad der Behinderung von 60 wegen dieser Behinderungen und das Merkzeichen "G" fest. Mit Bescheid vom 25. September 1996 erhöhte der Beklagte den GdB auf 70 und stellte folgende Behinderungen fest: Angeborene spastische Lähmung rechts, Bewegungseinschränkung rechte Schulter, Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule, Bewegungseinschränkung rechte Hüfte, Bewegungseinschränkung linkes Sprunggelenk, Sehbehinderung. Als Nachteilsausgleich stellte er weiterhin das Merkzeichen "G" fest. Am 30. November 2000 bescheinigte der Beklagte der Klägerin auf ihren Antrag, dass sie aufgrund ihrer Behinderungen zum Aussteigen auf das vollständige Öffnen der Türen und somit auf Parkmöglichkeiten von besonderer Breite angewiesen ist.
Am 10. September 2009 beantragte die Klägerin die Feststellung eines höheren GdB für die bisher festgestellten Behinderungen und das Merkzeichen "aG". Der Beklagte holte daraufhin von dem Facharzt für Orthopädie Dr. W. einen Befundbericht vom 17. September 2009 ein, dem der ärztliche Entlassungsbericht des Reha-Zentrums Bad S. vom 1. September 2009 über eine vom 28. Juli bis 1. September 2009 durchgeführte stationäre Reha-Behandlung der Klägerin beigefügt war. Dr. W. gab an, die Klägerin seit 1993 wegen progredienter Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden bei angeborener Hemiparese rechts orthopädisch zu betreuen. Sie sei beim Laufen im Freien auf zwei Unterarmstützen und in geschlossenen Räumen auf eine Unterarmstütze angewiesen. Einen Rollstuhl benötige sie nicht. Im Reha-Entlassungsbericht wurden eine Fehlstatik der Wirbelsäule mit muskulären Dysbalancen cervikal und Funktionseinschränkungen im Bereich der kompletten Wirbelsäule, im rechten Schulter-, Ellbogen- und Handgelenk, Funktionseinschränkungen mit motorischen Störungen der rechten Hand, eine spastisch bedingte Spitzfußstellung mit entsprechenden Funktionseinschränkungen im Oberschenkelgelenk sowie eine Muskelatrophie der rechten unteren Extremität mit entsprechender muskulärer Schwäche mitgeteilt. Einen weiteren Befundschein hat der Beklagte von der Fachärztin für Augenheilkunde Dipl.-Med. L. vom 29. September 2009 eingeholt, wonach der Visus rechts 1/24 und links 0,5 betrage. Als Diagnosen benannte die Ärztin eine Myopathie rechts und einen Zustand nach Vitrektomie links. Schließlich zog der Beklagte medizinische Unterlagen des Rentenversicherungsträgers der Klägerin bei. Der erneut beteiligte ärztliche Dienst des Beklagten schätzte den Gesamt-GdB weiterhin mit 70 ein und vertrat die Auffassung, die Bewegungseinschränkung des linken Hüftgelenkes, beider Kniegelenke und die Beschwerden am linken Ellenbogen sowie die Funktionsminderung beider Hände bedingten keinen GdB bzw. lägen nicht vor. Das Merkzeichen G sei weiterhin gerechtfertigt. Darauf gestützt lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 15. Dezember 2009 den Antrag der Klägerin ab, da Art und Ausmaß der erhobenen Befunde gegenwärtig keinen höheren Grad der Behinderung begründeten und das Merkzeichen aG nicht festzustellen sei. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 12. Januar 2010 Widerspruch ein und machte geltend, sie sei seit dem Jahr 2005 auf zwei Gehstützen bzw. einen Rollator angewiesen. Außerdem trage sie seit 2009 eine Fußorthese rechts und eine Bandage zur Unterstützung des rechten Handgelenkes. Größere Strecken könne sie aufgrund der außergewöhnlichen Behinderungen und der damit verbundenen körperlichen Belastung, vor allem für ihre Wirbelsäule, nicht mehr bewältigen. Deshalb sei sie a...