Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensfehlerhafter Erlass eines Gerichtsbescheides, da Sachverhalt nicht geklärt war und eine Anhörung zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid unterblieb
Orientierungssatz
1. Nach SGG § 105 Abs 1 ist der Erlass eines Gerichtsbescheids daran geknüpft, dass die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Letzteres ist der Fall, wenn sich dem Gericht aufgrund seiner Amtsermittlungspflicht nach SGG § 103 keine weiteren Ermittlungen aufdrängen, sowie aufgrund fehlender Aufklärungsmöglichkeiten keine Beweislastentscheidung getroffen werden muss.
2. Das Sozialgericht entscheidet verfahrensfehlerhaft durch den Kammervorsitzenden als Einzelrichter mit Gerichtsbescheid ohne die grundsätzlich vorgesehene Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter gemäß SGG § 12 Abs 1 S 2, wenn der Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht nicht geklärt ist.
3. Das Sozialgericht muss die Beteiligten vor einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid anhören.
Tenor
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 11. April 2008 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird an das Sozialgericht Magdeburg zurückverwiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Beklagte wendet sich gegen die Verurteilung zur Bewilligung höherer Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Monate Januar und Juni 2006. Für diese Zeit hat das Sozialgericht das Vorliegen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft und damit die Anrechnung von Einkommen verneint.
Der am 2x. September 19xx geborene Kläger ist Eigentümer eines Einfamilienhauses mit einer Wohnfläche von 60 qm. Dort waren seit dem 22. Mai 1993 auch die am x. Dezember 19xx geborene R. E. und ihre volljährige Tochter M. sowie später der am x. Januar 19xx geborene gemeinsame Sohn S. polizeilich gemeldet. Die Ehe der Frau E. war am 1x. November 19xx geschieden worden. Sie bezieht eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
In seinem Antrag vom 7. September 2004 auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II hatte der Kläger angegeben, mit Frau E. seit 2003 in einer eheähnlichen Gemeinschaft zu leben. Mit Bescheid vom 8. Dezember 2004 war der Antrag zunächst mangels Hilfebedürftigkeit wegen des Einkommens der Frau E. abgelehnt worden. In dem dagegen gerichteten Widerspruch hatte der Kläger geltend gemacht, er habe sich vor längerer Zeit von E. trennen müssen, weil sie ihn nicht ernähren wolle. Sie sei am 1. November 2004 ausgezogen. Mit Bescheid vom 13. Dezember 2004 hatte der Beklagte daraufhin dem Kläger Leistungen vom 1. Januar bis 30. Juni 2005 in Höhe von 566,79 EUR/Monat bewilligt. Im Rahmen eines Hausbesuchs am 17. Mai 2005 waren Frau E. und der gemeinsame Sohn in der Wohnung angetroffen worden, seien jedoch nach Einlassung des Klägers nur zu Besuch gewesen. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 2005 zurückgewiesen, weil ein Auszug von Frau E. nicht glaubhaft gemacht sei.
Im Rahmen von Fortzahlungsanträgen wurde mit Bescheid vom 10. Juni 2005 eine Weiterbewilligung abgelehnt und mit weiterem Bescheid vom 5. Juli 2005 dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2005 ein Zuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung bewilligt. Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger einen nur von ihm unterschriebenen Mietvertrag vom 1. Januar 2005 mit Frau E. vor, wonach diese seit 1. Januar 2002 für zwei Zimmer, Küche und Bad mit einer Wohnfläche von 45 qm 300,00 EUR/Monat entrichte. Gegen den Bescheid vom 10. Juni 2005 erhob der Kläger am 17. Juni 2005 Klage beim Sozialgericht Magdeburg (S 21 AS 251/05); der Widerspruchsbescheid wurde unter dem 23. Januar 2006 erteilt. Im Rahmen eines Erörterungstermins am 24. Juli 2007 ist der streitgegenständliche Zeitraum auf 1. Juli 2005 bis 31. Januar 2006 beschränkt worden. Über diese Klage hat das Sozialgericht bislang noch nicht entschieden.
Im Rahmen eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz (S 22 AS 511/05 ER) wurde im Termin zur Erörterung des Sachverhalts und Beweisaufnahme am 27. September 2005 der Kläger gehört und Frau E. als Zeugin vernommen. Das Sozialgericht verpflichtete den Beklagten mit Beschluss vom 4. Oktober 2005, dem Kläger für September und Oktober 2005 vorläufig 104,00 EUR/Monat wegen eines Anspruchs auf befristeten Zuschlag zu leisten. Im Übrigen lehnte es den Antrag ab, weil mit Wahrscheinlichkeit eine eheähnliche Gemeinschaft vorliege. Die Angabe, die Zeugin sei am 1. November 2004 ausgezogen, entspreche offensichtlich nicht der Wahrheit, da diese noch unter der Anschrift des Klägers gemeldet sei. Der gemeinsame Sohn werde im gemeinsamen Haushalt versorgt. Für die behauptete Trennung 1996 bzw. 1998 sprächen keine erkennbaren Indizien. Der Kläger habe nach eigener Aussage noch im Jahr 2004 eine Lebensversicherung zugunsten der Zeugin als Berechtigte im Todesfall gehabt. Ferner habe die Zeugin angegeben, sie fühle sich für den Kläger verantwortlich und würde für den Fall, dass di...