Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung nach Heilungsbewährung. Krebserkrankung. Totalentfernung des Magens. Versorgungsmedizinische Grundsätze. kein GdB von 50 ohne schwere Komplikationen. Nahrungsmittelunverträglichkeit. strikte Diät. Spätdumping-Syndrom bei vermeidbaren Diätfehlern. Einhaltung des Normalgewichts nach Body-Mass-Index. keine Doppelbewertung von Unterzuckerungszuständen. seelische Begleiterscheinungen
Leitsatz (amtlich)
Ein GdB von 50 aufgrund einer Totalentfernung des Magens ist auch beim Vorliegen eines Spätdumping-Syndroms nicht gegeben, wenn das Dumping-Syndrom ausschließlich bei - vermeidbaren - Diätfehlern auftritt und im Übrigen ein nahezu konstantes Körpergewicht im Normbereich gegen eine erhebliche Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes spricht und auch sonst keine schweren Komplikationen auftreten.
Orientierungssatz
1. Unterzuckerungszustände, die bereits im Zusammenhang mit dem Spätdumping-Syndrom im Funktionssystem Verdauungsorgane bewertet worden sind, können nicht erneut im Funktionssystem Stoffwechsel und innere Sekretion berücksichtigt werden (vgl zur unzulässigen Doppelbewertung: LSG Halle vom 24.9.2015 - L 7 SB 72/14).
2. Zu seelischen Begleiterscheinungen nach Teil A Nr 2 Buchst i der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Anlage zu § 2 VersMedV).
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin ein Viertel der notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) der Klägerin nach Ablauf der Heilungsbewährung.
Die am ... 1968 geborene Klägerin unterzog sich am 27. Oktober 2003 einer Gastrektomie aufgrund eines Siegelring-Karzinoms sowie einer radikalen Lymphknotendissektion. Im Zeitraum vom 17. November bis 5. Dezember 2013 befand sich die Klägerin in stationärer internistisch-onkologischer Behandlung in der H.-Klinik K.-W.
Auf Antrag der Klägerin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 18. März 2004 für die Funktionsbeeinträchtigung "Verlust des Magens bei Erkrankung in Heilungsbewährung" ab 27. Oktober 2003 einen GdB von 80 fest. Der diesbezüglichen gutachterlichen Stellungnahme des versorgungsärztlichen Dienstes hätten die aktuellen medizinischen Unterlagen der H.-Klinik zu Grunde gelegen. Die Funktionsbeeinträchtigung der Erkrankung des Magens befinde sich noch im Stadium der Heilungsbewährung; daher werde die Funktionsbeeinträchtigung - obwohl dies durch die derzeitigen tatsächlichen Auswirkungen nicht gerechtfertigt sei - zunächst mit einem höheren GdB bewertet. Nach Ablauf der Heilungsbewährung im Oktober 2008 werde der GdB überprüft und entsprechend der dann noch verbliebenen tatsächlichen Funktionsbeeinträchtigung gegebenenfalls neu festgestellt.
Im November 2008 veranlasste der Beklagte ein Überprüfungsverfahren, indem er einen Befundschein der Hausärztin der Klägerin, Dr. med. R., einholte. Diese berichtete am 21. November 2008, seit der Gastrektomie bestünden bei der Klägerin eine allgemeine physische und psychische Schwäche, eine ausgeprägte Nahrungsunverträglichkeit auf zuckerhaltige, fettige oder blähende Speisen, welche Bauchschmerzen, Meteorismus, Hypoglykämien und Durchfälle verursachten. Die physische und psychische Belastbarkeit der Klägerin liege bei zwei bis drei Stunden pro Tag. Nur bei Einhaltung von Ruhephasen halte sie ihr Körpergewicht und verhindere eine weitere Gewichtsabnahme.
Auf dieser Grundlage holte der Beklagte eine gutachterliche Stellungnahme des Vertragsarztes P. ein. Dieser setzte für den Verlust des Magens nach Heilungsbewährung ohne Hinweise auf Rezidive oder Absiedlungen (Metastasen) einen GdB von 30 an, welcher zugleich den Gesamt-GdB bilde.
Mit Schreiben vom 25. Februar 2010 hörte der Beklagte die Klägerin zu einer beabsichtigten Herabsetzung des GdB auf 30 für die Zukunft an.
In ihrer Stellungnahme vom 6. April 2010 teilte die Klägerin u. a. mit, durch die Entfernung des Magens sei eine Zersetzung des Magenbreis nur unter Zufuhr von Medikamenten möglich. Im Übrigen leide sie an einem Spätdumping-Syndrom.
Daraufhin bat der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 29. April 2010 um die Mitteilung des behandelnden Facharztes für Neurologie und Psychiatrie und den dortigen Behandlungszeitraum sowie um Mitteilung der Ärzte, bei denen weitere Unterlagen wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen nach dem Verlust des Magens angefordert werden könnten. Hierauf teilte die Klägerin mit Schreiben vom 11. Juni 2010 mit, dass sie sich nicht in psychologischer Behandlung befinde. Auskünfte könnten durch Dr. med. R. erteilt werden.
Mit Bescheid vom 21. Juni 2010 hob der Beklagte den Bescheid vom 18. März 2004 auf und stellte ab 1. Juli 2010 einen GdB von 30 fest.
Dagegen erhob die Klägerin am 1. Juli 2010 Widerspruch. Zur Begründung trug sie vor, die totale Entfernung des Magens habe erhebliche Einschränkungen im Lebensablauf zur F...