Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessung der unfallbedingten MdE unter Berücksichtigung eines Vorschadens
Orientierungssatz
1. Ein Anspruch auf Verletztenrente setzt nach § 56 Abs. 1 SGB 7 voraus, dass die Erwerbsfähigkeit des Versicherten über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um mindestens 20 % gemindert ist.
2. Ist die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten aufgrund eines Vorschadens bereits vor dem Versicherungsfall gemindert, so können die MdE-Erfahrungswerte nicht ohne weiteres zugrunde gelegt werden.
3. In einem solchen Fall gegenseitiger Einflussnahme von Vor- und Versicherungsfallschaden ist klarzustellen, inwieweit bereits eine Funktionsbeeinträchtigung bestanden hat und ob diese durch den Versicherungsfall in welchem Maß weiter zugenommen hat. Nur die durch den Versicherungsfall verursachte Steigerung der MdE ist der schädigenden Einwirkung zuzurechnen.
4. Entscheidend ist der im Einzelfall sachgerecht zu schätzende Funktionsverlust im Verhältnis zum Zustand vor dem Versicherungsfall. Je stärker sich der Vorschaden und die Schädigung durch den Versicherungsfall in Bezug auf die betroffene Funktionseinheit gegenseitig beeinflussen und kumulieren, umso mehr ist der Vorschaden bei der Feststellung des Grades der versicherungsfallbedingten individuellen MdE einzubeziehen.
5. Hat der Arbeitsunfall den bereits vorhandenen Schaden nicht so relevant vergrößert, dass hierfür eine Bemessung mit einer MdE um mindestens 20 % gerechtfertigt ist, so besteht kein Anspruch auf Verletztenrente.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 21. Mai 2008 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge und das Vorverfahren zur Hälfte zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist im Berufungsverfahren noch, ob die im Bereich des rechten Auges des Klägers anerkannten Folgen des Arbeitsunfalls vom 15. September 2004 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 vom Hundert (vH) bedingen.
Der 1957 geborene und (seinerzeit) in D. als Küchenhilfe beschäftigte Kläger erlitt am 15. September 2004 nach Beendigung seiner Arbeit um 4.00 Uhr mit seinem Pkw einen Unfall, als er auf der Fahrt von seiner (damaligen) Nebenwohnung in D. zum Familienwohnsitz nach W. gegen 12.20 Uhr auf der B 100 am Ortsausgang B. in Höhe der Einmündung N. Straße von der Fahrbahn abkam und gegen einen Baum stieß (Verkehrsunfallanzeige vom 15. September 2004 und Unfallanzeige vom 1. Dezember 2004). Nach seinen Angaben habe er nach dem Arbeitsende in seiner Nebenwohnung geschlafen und sei von dort gegen 10.00 Uhr gestartet. Zum Unfallzeitpunkt sei ihm schwarz vor Augen geworden. Laut seinem Durchgangsarztbericht vom 16. September 2004 erhob der Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie des Kreiskrankenhauses B./W. Dr. K. im Rahmen seiner am Unfalltag um 13.00 Uhr durchgeführten Untersuchung einen Druckschmerz im Bereich der linken Thoraxseite in Höhe der vierten bis achten Rippe und diagnostizierte eine entsprechende Prellung. Äußere Verletzungszeichen seien nicht sichtbar.
Unter dem 2. Februar 2005 teilte Dr. K. ergänzend mit, der Kläger habe bei der Untersuchung am 15. September 2004 auch auf eine bekannte Augenerkrankung hingewiesen, weshalb eine Vorstellung in der Augenklinik D. veranlasst worden sei. Dort waren für die am 16. September 2004 um 18.00 Uhr durchgeführte Untersuchung von Privatdozent (PD) Dr. F. für das rechte Auge u.a. eine Oberlidptosis, ein erheblicher gemischter Reizzustand, eine Stromatrübung der Hornhaut, Fibrinschwaden in der Vorderkammer sowie eine übermittelweit entrundete und nach nasal oben ausgezogene Pupille festgehalten worden. Als Zustand nach Verkehrsunfall hatte PD Dr. F. die Diagnosen einer Contusio bulbi, Hinterkammerlinsendislokation, intraokularer Reizzustand sowie Ablatio retinae (Netzhautablösung) mit Riesenriss gestellt. Bereits im zwölften Lebensjahr habe der Kläger am rechten Auge ein Trauma erlitten, aus dem sich seit 1988 ein Sekundärglaukom entwickelt habe. Am 29. September 2004 sei in D. eine operative Reposition der Hinterkammerlinse erfolgt. Nachdem sich eine Netzhautablösung entwickelt habe, sei der Kläger in die Universitätsaugenklinik L. überwiesen worden.
Am 8. Oktober 2004 stellte sich der Kläger bei dem Facharzt für Augenheilkunde Dr. H. vor, der als Sehschärfe links einen Wert von 1,0 und rechts nur Lichtschein angab (Augenarztbericht vom 5. November 2004). In seinem Bericht vom 7. Dezember 2004 hielt er als Diagnosen eine Ablatio retinae nach Contusio bulbi mit Luxation und Druckdekompensation rechts sowie Visuswerte von 1/15 rechts und 1,0 links fest. Laut seinen Angaben vom 25. Januar 2005 befinde sich der Kläger wegen eines Glaukoms rechts seit März 1991 und wegen einer Augenlinsentrübung rechts seit August 1993 in Behandlung. Am 27. März 2001 sei eine Kataraktoperation mit Implantation einer Kunstlinse rechts erfolgt. Am 9. September 2002 habe eine Laserbehandlung...