Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Kontrolluntersuchungen nach Nierentransplantation. Fahrkostenübernahme

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Fahrkostenanspruch des Versicherten aus § 60 Abs 1 SGB 5 ist bei Fahrten mit dem privaten Pkw von vornherein auf Ausgleich der Kosten - nicht auf eine Naturalleistung der Krankenkasse - gerichtet, so dass für den Kostenerstattungsanspruch ein Rückgriff auf § 13 Abs 3 SGB 5 entbehrlich ist.

2. Wenn der Anwendungsbereich des § 60 Abs 2 S 1 Nr 4 SGB 5 nicht verschlossen bleiben und das gesetzgeberische Ziel nicht auf Kosten der Gesundheit der Versicherten erreicht werden soll, kann die Vorschrift nur den Grenzbereich betreffen, in dem eine (voll- oder teil-)stationäre Krankenhausbehandlung zwar "an sich", dh grundsätzlich erforderlich ist, aber im konkreten Fall aufgrund der besonderen Umstände nicht unbedingt notwendig erscheint.

3. Zur Durchführung von Kontrolluntersuchungen, die neben der körperlichen Untersuchung umfassende Laboruntersuchungen umfassen, bedarf es weder der voll- noch der teilstationären Behandlung in einem Krankenhaus mit seiner speziellen medizinisch-organisatorischen Infrastruktur. Unerheblich ist, ob die Kontrolluntersuchungen im Rahmen einer vor- oder nachstationären Behandlung iSv § 115a SGB 5 durchgeführt werden.

4. Die Voraussetzung einer "hohen Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum" nach § 60 Abs 1 S 3 SGB 5 iVm § 8 Abs 2 KrTRL 2004 bezieht sich auf das durch die Grunderkrankung vorgegebene Therapieschema, so dass nur die auf dem Therapieschema beruhenden Fahrten in die Beurteilung einzubeziehen sind.

5. Das Merkmal der "hohen Behandlungsfrequenz" ist in Abhängigkeit von dem Merkmal "über einen längeren Zeitraum" auszulegen. Bei Behandlungen, die sich auf einen unabsehbaren Zeitraum erstrecken, sind die Anforderungen an die Frequenz der Behandlung herabzusetzen; 16 Kontrolluntersuchungen jährlich reichen jedoch nicht aus.

6. Die konkret zurückzulegende Fahrstrecke sowie die wirtschaftliche Situation des Versicherten bleiben grundsätzlich außer Betracht.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 10.12.2014; Aktenzeichen B 1 KR 11/14 B)

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 11. November 2009 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Übernahme von Kosten für Fahrten in die Transplantationszentren B. und H. sowie die Erstattung bereits angefallener Kosten.

Dem 1964 geborenen Kläger ist seit 2004 ein Grad der Behinderung von 70 ohne Merkzeichen zuerkannt. Er war bis zum 30. April 2007 bei der Beklagten krankenversichert und wechselte zum 1. Mai 2007 zur IKK D., die zum 1. Januar 2009 mit der Beigeladenen fusionierte.

Am 19. September 2001 wurde ihm eine von seinem Bruder gespendete Niere implantiert. Bis einschließlich 2003 übernahm die Beklagte die mit dieser Behandlung im Zusammenhang stehenden notwendigen Fahrkosten des Klägers. Am 16. Februar 2004 beantragte der Nephrologe Dipl.-Med. R. für den Kläger bei der Beklagten die weitere Übernahme von Fahrkosten für Fahrten zu Kontrolluntersuchungen in das Transplantationszentrum B. und zum Nephrologen nach Q. In den ersten beiden Jahren nach der Transplantation sei es mehrfach zu Abstoßungsreaktionen gekommen. Es seien alle Möglichkeiten aufzubieten gewesen, um die Nierenfunktion zu erhalten. Derzeit sei der Zustand etwas stabilisiert, es gebe jedoch ca. zwei bis drei kritische Phasen im Jahr. Wegen der Immunsuppression sei der Kläger vermehrt infektanfällig und müsse besonders den Kontakt zu großen Menschenkollektiven meiden. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei daher nicht möglich. Es sei dem Kläger auch nicht möglich, lange Strecken zu laufen oder viele Treppen zu steigen. Er müsse mindestens einmal monatlich zur Kontrolle in die Ambulanz nach Q. und wenigstens einmal vierteljährlich zur Kontrolle in das Transplantationszentrum nach B.

Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Nierentransplantationsambulanz der ... in B. durch deren Leiterin Prof. Dr. R. und die Assistenzärztin E. mit Schreiben vom 5. Mai 2004 mit, eine ambulante Vorstellung des Klägers sei mindestens einmal pro Quartal erforderlich. Zwischenkontrollen könnten auch im Dialysezentrum M. erfolgen. Eine Beförderung mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei auf Grund der immunsuppressiven Therapie und der damit einher gehenden Infektionsgefahr aus medizinischen Gründen nicht zu empfehlen, aber möglich. Auf Grund der aufwendigen Kontrolluntersuchungen sei ein rechtzeitiges Eintreffen des Klägers in der Ambulanz wichtig, weshalb auch die Anbindung des Wohnortes an öffentliche Verkehrsmittel zu berücksichtigen sei. Es werde daher gebeten, dem Kläger die für die notwendigen Fahrten entstehenden Aufwendungen zu erstatten. Die aktuelle Medikation wurde im Einzelnen aufgelistet.

Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung nach Aktenlage durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung S. (MDK), der am 21. Mai 2004 ausführte, die Vo...

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