Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Feststellung des Merkzeichens aG der Behinderung nach SGB IX
Leitsatz (amtlich)
Eine leichtgradige Coxarthrose und ein Wirbelsäulenleiden ohne relevante Bewegungseinschränkungen rechtfertigen nicht die Feststellung des Merkzeichens aG. Sofern eine Herz- und Lungeninsuffizienz vorliegt, ist erst bei schweren kardialen Dekompensationserscheinungen bzw. einer schweren Lungenfunktionseinschränkung die Feststellung des Merkzeichens aG gerechtfertigt. Gegen eine auf das schwerste eingeschränkte Gehfähigkeit spricht, wenn ärztlicherseits keine Notwendigkeit zum Einsatz von Hilfsmitteln zur Fortbewegung gesehen wird.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) vorliegen.
Bei dem am ... 1932 geborenen Kläger stellte der Beklagte mit Bescheid vom 26. November 1992 einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 aufgrund einer psychischen Behinderung mit ausgeprägten psychosomatischen Beschwerden und degenerativen Wirbelsäulenveränderungen sowie die Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und RF (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) fest. Mit Bescheid vom 18. April 2008 stellte er einen GdB von 90 sowie weiterhin die Merkzeichen G und RF fest und legte nach einer prüfärztlichen Stellungnahme folgende Einzelbehinderungen zugrunde: Psychische Erkrankung (GdB 80), Funktionseinschränkung der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen (GdB 20), Funktionseinschränkung beider Hüftgelenke, Bandlockerung linkes Fußgelenk (GdB 20), Bluthochdruck (GdB 20), venöse Durchblutungsstörung des linken Beines (GdB 10), Funktionseinschränkung des rechten Schultergelenkes (GdB 10), Bronchitis (GdB 10), Magenschleimhautentzündung (GdB 10).
Nachdem der Beklagte bereits mehrere Anträge des Klägers auf Feststellung des Merkzeichen aG abgelehnt hatte, beantragte der Kläger am 10. Dezember 2012 erneut dieses Merkzeichen und verwies auf seine Gehbehinderung. Der Beklagte holte einen Befundschein des Facharztes für Allgemeinmedizin G. vom Januar 2013 ein, der über progrediente Schmerzen und Bewegungseinschränkungen beider Knie- und Hüftgelenke bei bereits leichten Belastungen sowie eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK, Stadium II a) berichtete. In Anlage übersandte er den Arztbrief des Dr. K. vom A- Klinikum H. vom Juni 2010, wonach beim Kläger eine Coxarthrose mit einer eingeschränkten Beweglichkeit des rechten Hüftgelenkes (Extension/Flexion 0/0/80 Grad nach der Neutral-Null-Methode, Außenrotation/Innenrotation 10/0/20 Grad, Abduktion/Adduktion 20/0/20 Grad) vorliege. Außerdem lag dem Befundschein der Arztbrief des Facharztes für Orthopädie S. vom März 2011 bei, der ein Cervicobrachialsyndrom mit eingeschränkter Seitneigung (beidseits 20 Grad) diagnostiziert hatte. Der beteiligte ärztliche Dienst des Beklagten führte in seiner Stellungnahme aus, die leichtgradige Bewegungseinschränkung des rechten Hüftgelenkes führe zu keiner höheren Bewertung des GdB und rechtfertige nicht die Feststellung des Merkzeichens aG. Dem folgend lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 19. März 2013 den Antrag des Klägers auf Feststellung des Merkzeichens aG ab. Dagegen legte der Kläger am 21. März 2013 Widerspruch ein und verwies auf stationäre Behandlungen im H.-klinikum wegen akuten Nierenversagens und starker Wassereinschwemmung. Aufgrund der starken Schmerzen im rechten Hüftgelenk sei er extrem gehbehindert und könne nur noch ganz langsam kurze Strecken gehen. Mit Stellungnahme vom 25. April 2013 führte der ärztliche Gutachter des Beklagten Dr. B. aus, eine wesentliche Verschlimmerung des Gesundheitszustandes sei nicht durch objektive Befunde belegt. Die Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule und der unteren Extremitäten erlaubten keine Gleichstellung mit schweren Einschränkungen des Gehvermögens wie bei einem Doppeloberschenkelamputierten. Erkrankungen der inneren Organe, die eine solche Gleichstellung rechtfertigten, wie beispielsweise Krankheiten der Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades sowie Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz lägen beim Kläger nicht vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. April 2013 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Am 10. Mai 2013 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Magdeburg Klage erhoben und vorgetragen: Aufgrund seiner extremen Gehbehinderung könne er sich nur noch mühsam fortbewegen. Das SG hat einen weiteren Befundbericht des Hausarztes G. vom 13. Juli 2013 eingeholt. Danach leide der Kläger unter einer arteriellen Hypertonie (Stadium II WHO) mit hypertensiver Herzerkrankung und chronischer Herzinsuffizienz (Stadium III bis IV nach NYHA), einem chronischen Halswirbelsäulen-/Lendenwirbelsäulensyndrom bei ausgeprägter Spondylarthrose und Osteochondrose der ...