Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bildung und Teilhabe. angemessene Lernförderung. Therapie wegen Legasthenie und Dyskalkulie
Orientierungssatz
1. Eine Therapie zur Behandlung einer Legasthenie bzw Dyskalkulie kann eine Maßnahme der außerschulischen Lernförderung im Sinne des § 28 Abs 5 SGB 2 darstellen. Die Auffassung, dass von § 28 Abs 5 SGB 2 nur eine zeitlich begrenzte Nachhilfe umfasst ist, findet im Gesetz keine Stütze.
2. Die Voraussetzungen der Eignung und Erforderlichkeit der Therapie zur Erreichung der nach schulrechtlichen Bestimmungen wesentlichen Lernziele nach § 28 Abs 5 SGB 2 sind erfüllt, wenn im Einzelfall durch die Therapie der Legasthenie eine Verbesserung des Leistungsniveaus erreicht werden kann.
3. Die Lernförderung ist angemessen im Sinne des § 28 Abs 5 SGB 2 , wenn sie im Rahmen der örtlichen Angebotsstruktur auf kostengünstige Anbieterstrukturen zurückgreift.
4. Fehlt es jedoch an einer eindeutig gesicherten Diagnose der Legasthenie und Dyskalkulie und bedarf der Schüler einer Therapie zur Stabilisierung und Besserung spezifischer mentaler Funktionen, insbesondere der Aufmerksamkeit, Konzentration, der visuellen Wahrnehmung und visuomotorischen Koordination, so handelt es sich um Leistungen einer ergotherapeutischen Behandlung, für die gesetzliche Krankenversicherung zuständig ist.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 30. März 2015 wird aufgehoben, soweit es den Beklagten verpflichtet hat, der Klägerin Kosten für außerschulische Lernförderung zu erstatten. Die Klagen der Klägerin werden abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger in
beiden Rechtszügen zur Hälfte zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Umstritten sind Leistungen der Lernförderung nach § 28 Abs. 5 Zweites Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) wegen Legasthenie sowie Dyskalkulie im Zeitraum von Juni bis November 2014.
Der 2005 geborene Kläger und Berufungsbeklagte zu 1) (im Weiteren: Kläger) und die 2006 geborene Klägerin und Berufungsbeklagte zu 2) (im Weiteren: Klägerin) standen zusammen ab Juni 2013 mit ihrer Mutter und zwei weiteren Geschwistern bei dem Beklagten und Berufungskläger (im Weiteren: Beklagter) im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II.
Der Kläger wurde im August 2012 in die 1. Klasse der Grundschule in N. eingeschult, besuchte dort von August 2013 bis Juli 2014 die 2. Klasse und wurde im September 2014 in die 3. Klasse versetzt. Die Klägerin wurde im August 2013 in die gleiche Schule eingeschult und wiederholte das erste Schuljahr ab September 2014.
Im April 2013 vereinbarte die Mutter als gesetzliche Vertreterin mit der Praxisgemeinschaft für Logopädie und Ergotherapie M. (im Weiteren: Therapeutin) für den Kläger ein wöchentliches Einzeltraining im Fach Deutsch zu 50 € je Unterrichtsstunde (90 Minuten), nachdem ein von der Therapeutin durchgeführtes pädagogisches Testverfahren beim Kläger eine angeborene Legasthenie ergeben habe. Der Burgenlandkreis bewilligte für die Zeit von Mai bis Juli 2013 Leistungen der Lernförderung nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) von monatlich 200 €. Im Mai 2013 beantragte der Kläger unter Vorlage einer Bescheinigung seiner Klassenlehrerin, die eine Förderung zwei- bis dreimal pro Woche im Fach Deutsch empfohlen hatte, bei dem Beklagten erstmals die Übernahme der Kosten der außerschulischen Lernförderung. Der Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die Lernförderung sei nach dem Gesetz in der Regel nur kurzzeitig notwendig, um eine vorübergehende Lernschwäche zu beheben. Dies treffe auf eine Legasthenietherapie nicht zu (Bescheid vom 15. Juli 2013 und Widerspruchsbescheid vom 2. September 2013). Ein Antrag des Klägers auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Halle (SG) blieb ohne Erfolg (S 34 AS 4015/13 ER). Auf der Grundlage einer vergleichsweisen Einigung im Beschwerdeverfahren (Vergleich vom 15. November 2013 im Verfahren L 2 AS 964/13 B ER) übernahm der Beklagte ab dem 18. Mai 2013 zunächst bis Mai 2014 vorläufig die Kosten für eine außerschulische Lernförderung bei der diplomierten Legasthenie- und Dyskalkulietrainerin für ein wöchentliches Einzeltraining zu je 50 €. Der Kläger befreite zugleich die Legasthenietrainerin von der Schweigepflicht gegenüber einem Psychologen des Beklagten.
Entsprechend den weiteren Festlegungen im Vergleich stellte der Kläger Anträge bei der für ihn zuständigen Krankenkasse und dem zuständigen Jugendhilfeträger auf Förderung einer Legastheniebehandlung. Mit Bescheid vom 6. Dezember 2013 lehnte die Krankenkasse den Antrag mit der Begründung ab, eine pädagogische Behandlung gehöre nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung. Mit Bescheid vom 14. Mai 2014 lehnte zudem der Burgenlandkreis den Antrag auf Eingliederungsleistungen nach § 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII) nach Einholung eines psychologisc...