Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Klage auf höhere vorläufige Leistungen. Statthaftigkeit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in Form der Bescheidungsklage. Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts. Anwendbarkeit des § 45 SGB 10 auf vorläufige Entscheidungen nach § 328 SGB 3. Berücksichtigungsfähigkeit einer Nutzungsentschädigung als Unterkunftskosten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der von dem in einem im Gemeinschaftseigentum stehenden Eigenheim verbliebenen Ehegatten nach § 745 Abs 2 BGB oder § 1361b Abs 3 S 2 BGB an den ausgezogenen getrennt lebenden Ehegatten zu zahlenden Nutzungsentschädigung handelt es sich nicht um Aufwendungen für die Unterkunft iS von § 22 Abs 1 S 1 SGB 2.

2. Im Streit um eine höhere vorläufige KdU-Leistungsgewährung besteht in Ansehung eines in der Vergangenheit liegenden Bewilligungszeitraums keine Bedürfnis, die erfolgte vorläufige Leistungsgewährung für einzelne Monate zu korrigieren, wenn im streitigen Bewilligungszeitraum insgesamt bedarfsdeckende KdU-Leistungen gewährt wurden.

 

Orientierungssatz

1. Statthafte Klageart für das Begehren auf Gewährung höherer vorläufiger Leistungen ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in der Form der Bescheidungsklage, da der Verwaltung hinsichtlich der Höhe der Leistungen bei der vorläufigen Leistungsbewilligung ein - wenn auch begrenzter - Ermessensspielraum verbleibt (vgl BSG vom 6.4.2011 - B 4 AS 119/10 R = BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21).

2. Auch bei einer vorläufigen Leistungsbewilligung nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1a SGB 2 aF iVm § 328 Abs 1 Nr 3 SGB 3 wegen schwankenden Erwerbseinkommens hat der Leistungsberechtigte grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass der Grundsicherungsträger die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung gem § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 berücksichtigt.

3. Zwar ist im Falle einer vorläufigen Leistungsbewilligung die Anwendung der §§ 44 ff SGB 10 grundsätzlich ausgeschlossen und eine Rückabwicklung richtet sich ausschließlich nach § 328 Abs 3 SGB 3 (vgl BSG vom 1.7.2010 - B 11 AL 19/09 R = BSGE 106, 244 = SozR 4-1200 § 42 Nr 2). Dies gilt aber nicht, wenn die vorläufige Leistungsbewilligung von Anfang an rechtswidrig - nicht bezogen auf die Vorläufigkeit, sondern auf die Leistungshöhe - war und deshalb eine teilweise Aufhebung ohne endgültige Leistungsbewilligung erfolgen soll. In solchen Fällen findet § 45 SGB 10 Anwendung.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 19.08.2015; Aktenzeichen B 14 AS 13/14 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Halle von 2. Juni 2010 abgeändert und die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Anspruchs des Klägers auf Leistungen für Unterkunft und Heizung als Teil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Zeit vom 1. Februar 2007 bis zum 31. Juli 2007.

Der am ... 1959 geborene Kläger stellte erstmals am 19. Januar 2006 bei der ARGE SGB II Landkreis S. (im Folgenden: ARGE) einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die ARGE war bis Ende 2010 die für den Kläger zuständige, für die Träger der Grundsicherungsleistungen handelnde Behörde. Ab dem 1. Januar 2011 ist dies der Beklagte als Rechtsnachfolger der ARGE.

Der Kläger gab im Verwaltungsverfahren an, selbständig zu sein und ein Handelsunternehmen ("H. J. P.") zu betreiben, aber derzeit keinen Gewinn zu erzielen. Auf einer vom Kläger vorgelegten, von ihm erstellten vorläufigen Gewinnermittlung für 2005 war für dieses Jahr ein Verlust von 6.452,11 EUR ausgewiesen. Der Kläger gab weiter an, von seiner Ehefrau getrennt und alleine in dem ihm und seiner Ehefrau gemeinsam gehörenden Haus mit einer Grundstücksgröße von 820 qm, einer Gesamtfläche des Hauses von 135 qm und einer Wohnfläche von 106 qm bei fünf Räumen zu leben. Das Haus wurde mit einer Ölheizung beheizt, wobei die Warmwasseraufbereitung separat mit einem Elektro-Durchlauferhitzer erfolgte.

Die ARGE bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 7. April 2006 Arbeitslosengeld II (Alg) als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit ab dem 19. Januar 2006. Für die Bewilligungszeiträume vom 19. Januar 2006 bis zum 31. Juli 2006 und vom 1. August 2006 bis zum 31. Januar 2007 sind gesonderte Streitverfahren beim Senat anhängig (Aktenzeichen L 2 AS 338/10 und L 2 AS 339/10).

Mit einem Schreiben vom 27. April 2006 forderten die Rechtsanwälte der Ehefrau des Klägers den Kläger unter anderem auf, ab Mai 2006 eine Nutzungsentschädigung für die Nutzung des ihm und seiner Ehefrau gemeinsam gehörenden Hauses in Höhe von monatlich 365,00 EUR zu zahlen. In dem Schreiben wurde ausgeführt, das gemeinsame Grundstück habe einen Wert von ca. 168.000,00 ...

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