Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Bewertung der tatsächlichen Arbeitsleistung des Versicherten. Berücksichtigung der vom Arbeitgeber dokumentierten Arbeitsstunden
Leitsatz (amtlich)
Für die Bewertung der tatsächlichen Arbeitsleistung des Versicherten, die regelmäßig ein Indiz für die Erwerbsfähigkeit mindestens in dem tatsächlichen Umfang der ausgeübten Tätigkeit ist, kann insbesondere auf die vom Arbeitgeber dokumentierten Arbeitsstunden (hier: fortlaufende elektronische Arbeitszeiterfassung) zurückgegriffen werden.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über eine Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI).
Die 1961 geborene Klägerin absolvierte nach ihrer Schulausbildung (Zehnte-Klasse-Abschluss) erfolgreich die Berufsausbildung zum Bandagisten in der Orthopädie. Sie war zunächst im erlernten Beruf, dann als Küchenhilfe, Postzustellerin, Lagerarbeiterin und Staplerfahrerin versicherungspflichtig beschäftigt. Nach einer Weiterbildung zur Werkschutzfachkraft vom 4. Mai 1992 bis zum 19. Februar 1993 arbeitete die Klägerin als Verkäuferin in einem Tankstellenshop und später als Produktionshelferin bzw. Reinigungskraft. Vom 3. September 2001 bis zum 1. September 2002 nahm sie an Bildungsmaßnahmen („Weiterbildung Lager und Logistik“) teil. Nachfolgend arbeitete sie als Produktionshelferin, wieder in der Tankstelle als Verkäuferin, Reinigungskraft, Gewächshaushelferin und Zustellerin. Die Klägerin stand seit April 2012 noch in mehreren als geringfügig gemeldeten Beschäftigungsverhältnissen (teils mit, teils ohne Versicherungspflicht): vom 1. April 2012 bis zum 31. Juli 2012 in einem Gartenmarkt sowie vom 15. Januar bis zum 31. Juli 2013 und vom 1. August 2013 bis 31. Dezember 2014 als Tankstellenkassiererin. Während des Klageverfahrens übte sie noch vom 26. März 2015 bis zum 30. April 2016 eine geringfügige nicht versicherungspflichtige Beschäftigung als Reinigungskraft bei einem Gebäudereinigungsunternehmen im Umfang von zwei Stunden täglich aus. Seit dem 1. Februar 2017 steht die Klägerin in einem nach der Bezeichnung der Arbeitgeberin „Minijob mit Rentenversicherung“ als Verkäuferin in einer Tankstelle. In der hierzu vom Senat angeforderten Stundenübersicht der Arbeitgeberin vom 3. Mai 2019 ergeben sich für den Zeitraum vom 1. Februar 2017 bis zum 30. März 2019 Arbeitsschichten von regelmäßig mehr als drei Stunden, auch an aufeinander folgenden Arbeitstagen, häufige Arbeitsschichten von mehr als sechs Stunden, mehr als acht Stunden und in einzelnen Fällen mehr als neun Stunden und mehrere Arbeitswochen mit mehr als 30 Wochenstunden (im Einzelfall mehr als 40 Wochenstunden). Bezüglich der Einzelheiten wird auf Blatt 405 bis 439 Bd. II der Gerichtsakten Bezug genommen. Nach ihren Angaben pflegt die Klägerin im Übrigen ihren an Darmkrebs erkrankten Ehemann (mit Unterstützung eines Pflegedienstes einmal täglich) „rund um die Uhr“ und hat deshalb im Mai 2016 ihre zu diesem Zeitpunkt ausgeübte Beschäftigung aufgegeben. Der Antrag des Ehemannes auf Anerkennung der Pflegestufe II blieb nach Aktenlage erfolglos (Bescheid vom 22. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2017). Ausweislich des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vom 7. April 2017 wurde eine Pflegebedürftigkeit unterhalb der Pflegestufe I festgestellt. In dem Versicherungsverlauf vom 21. Mai 2019 sind Pflichtbeitragszeiten für Pflegetätigkeit vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Dezember 2018 - seit dem 1. Februar 2017 durchgehend neben der als geringfügig gemeldeten Beschäftigung - gespeichert. Die Klägerin wohnt mit ihrem Ehemann in einer Haushälfte eines großen Zwei-Familienhauses auf einem Grundstück von circa 5.000 m² mit circa 3.000 m² Garten und vielen Tieren (Hühner, Katze, Hund, Kanarienvogel, Wachteln).
Die Klägerin beantragte am 24. Oktober 2013 bei der Beklagten die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Bei der Beklagten ging der Entlassungsbericht der Universitätsklinik und Poliklinik für Innere Medizin II am Klinikum H1 vom 13. September 2010 ein, in dem ein bei der Klägerin im Jahr 2000 erstmals diagnostizierter Morbus Bechterew mit geringer Krankheitsaktivität mitgeteilt wird. Dem Entlassungsbericht der Klinik für Innere Medizin des Klinikums H2 vom 15. Februar 2014 ist als weitere Diagnose eine diffuse Colitis, am ehesten postinfektiös oder medikamenteninduziert nach NSAR-Einnahme, zu entnehmen.
In dem von der Beklagten eingeholten Gutachten der Fachärztin für Orthopädie und Sportmedizin Dr. H. vom 2. Mai 2014 wird zu den von der Klägerin angegebenen Beschwerden mitgeteilt, die Beschwerden wegen des Morbus Bechterew hätten unter medikamentö...