Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Wohnungsbeschaffungskosten. Erwerb von Genossenschaftsanteilen. analoge Anwendung von § 22 Abs 6 SGB 2 aF. Darlehen. Verfassungsmäßigkeit der Aufrechnung zur Darlehenstilgung gemäß § 42a SGB 2
Leitsatz (amtlich)
1. Der notwendige Erwerb von Genossenschaftsanteilen für die Anmietung einer Wohnung gehört gemäß § 22 Abs 6 SGB II grundsätzlich zu den Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten.
2. § 22 Abs 6 S 1 und 3 SGB II in der bis 31.7.2016 geltenden Fassung ist auf den Erwerb von Genossenschaftsanteilen analog anzuwenden.
3. Aufwendungen des SGB II-Leistungsträgers für Genossenschaftsanteile und Mietkautionen sind im Regelfall als Darlehen zu erbringen. Ein Regelfall liegt vor, wenn atypische Sachverhaltsumstände nach Aktenlage nicht erkennbar und vom Leistungsempfänger nicht geltend gemacht sind.
4. Die Aufrechnung zur Tilgung eines Darlehens für Genossenschaftsanteile gemäß § 42a Abs 2 SGB 2 ist grundsätzlich verfassungsgemäß (Anschluss an BSG vom 28.11.2018 - B 14 AS 31/17 R = SozR 4-4200 § 42a Nr 2).
Normenkette
SGB II § 22 Abs. 6 Sätze 1, 3 Fassung: 2011-05-31, § 42a Abs. 2
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist die Übernahme von Genossenschaftsanteilen als Zuschuss für eine Mietwohnung.
Der 1997 geborene Kläger beantragte bei dem Beklagten am 24. März 2016 (u. a.) die Übernahme der Kosten für Genossenschaftsanteile in Höhe von 960 EUR. Daneben beantragte er am 7. April 2016 die Zusicherung der Aufwendungen für eine neue Unterkunft ab 1. Mai 2016 für eine Wohnung in B., S. Straße ..., da die bisherige Unterkunft unangemessen sei und der Leistungsträger mitgeteilt habe, die bisherigen Kosten nur noch befristet zu übernehmen. Mit Bescheid vom 12. April 2016 sicherte der Beklagte dem Kläger die Übernahme der Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die neue Unterkunft ab dem 1. Mai 2016 zu, da der Umzug erforderlich und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen seien. Von dieser Zusicherung seien weitere umzugsbedingte Aufwendungen wie z. B. Umzugskosten oder Mietkaution nicht umfasst. Soweit diese notwendig seien, könne der Kläger diese separat vor der Unterzeichnung des Mietvertrages beantragen. Am 25. April 2016 stellte der Kläger einen Antrag auf Gewährung eines Darlehens für eine neue Unterkunft, bezeichnete diesen Antrag auf dem entsprechenden Formular aber als Hilfsantrag und erklärte mit handschriftlichem Zusatz, die Übernahme der Genossenschaftsanteile in Höhe von 960 EUR als Zuschuss zu beanspruchen. Mit Schreiben vom 4. Mai 2016 teilte die Vermieterin des Klägers, die Wohnungsgenossenschaft B. e.G., dem Beklagten mit, sie bitte in Abstimmung mit dem Kläger um "Kreditgebung der Genossenschaftsanteile" in Höhe von 960 EUR (Anteile) und 30 EUR (Eintrittsgebühr) für die Wohnung in der S. Straße ... (die dann tatsächlich vom Kläger bezogene Wohnung) in B. mit Zahlung an die Wohnungsgenossenschaft B ... Eine Ratenzahlung sei nicht möglich, da die Anteile laut Genossenschaftsgesetz beim Bezug der Wohnung vorliegen müssten. Mit Bescheid vom 26. Mai 2016 bewilligte der Beklagte dem Kläger die darlehensweise Übernahme einer Mietkaution in Höhe von 960 EUR als Bedarf gemäß § 22 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Die Leistung werde direkt an den Vermieter überwiesen, sobald der Bescheid bestandskräftig sei und der unterschriebene Mietvertrag vorliege. Der Rückzahlungsanspruch des Darlehens werde gemäß § 42 a Abs. 2 SGB II durch monatliche Aufrechnung ab dem Monat, der dem Monat der Auszahlung folge, in Höhe von 10 % des maßgeblichen Regelbedarfes von den dem Kläger zustehenden Leistungen bis zur vollständigen Tilgung des gewährten Darlehensbetrages befriedigt. Da der maßgebliche Regelbedarf 404 EUR betrage, würden davon 40,40 EUR zur Tilgung berücksichtigt werden. Mit der Aufrechnung in Höhe von monatlich 40,40 EUR werde ab 1. August 2016 begonnen. Gegen die "nur darlehensweise Gewährung der Übernahme der Genossenschaftsanteile" legte der Kläger mit anwaltlicher Vertretung am 1. Juni 2016 Widerspruch ein: Der Umzug sei auf Aufforderung des Jobcenters erfolgt, da die bisher bewohnte Wohnung zu groß gewesen sei. Bei den Genossenschaftsanteilen handele es sich um Wohnungsbeschaffungskosten, die nicht der Aufrechnung und darlehensweisen Gewährung unterlägen. Der Kläger sei bereit, seinen Anspruch auf Auszahlung der Genossenschaftsanteile an den Leistungsträger abzutreten. Zugleich begehrte der Kläger, dass trotz Einlegung des Widerspruches die Genossenschaftsanteile an die Vermieterin gezahlt werden, da der im Bescheid erklärte Vorbehalt, dass diese Leistung nur bei Bestandskraft des Bescheides ausgezahlt werde, rechtswidrig sei. Ferner beantragte der Kläger die Aussetzung der Aufrechnung. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2016 wies der Beklagte...