Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Einkommenseinsatz. Ausbildungsgeld. entsprechende Anwendung des § 82 Abs 3 S 2 SGB 12. gemeinsame Wohnung mit einem Familienangehörigen. weder Bedarfsgemeinschaft nach SGB 2 noch Einsatzgemeinschaft nach SGB 12. Anspruch auf Eckregelsatz des Haushaltsvorstandes. kostenloses Mittagessen in Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM). abweichende Festlegung des Regelbedarfs. kein Einkommenseinsatz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das für die Teilnahme an einer Maßnahme im Ausbildungsbereich einer WfbM gezahlte Ausbildungsgeld dient auch der Unterhaltssicherung. Es ist teilidentisch mit den Leistungszwecken der Grundsicherung nach dem SGB 12 und daher teilweise als Einkommen anzurechnen.

2. Mangels eigenständiger gesetzlicher Regelung der Anrechenbarkeit im SGB 12 ist § 82 Abs 3 S 2 SGB 12, der den Freibetrag auf das in einer WfbM erzielten Arbeitsentgelt regelt, entsprechend auf das Ausbildungsgeld anzuwenden.

 

Orientierungssatz

1. Der Senat folgt der Rechtsprechung des BSG (Anschluss an BSG vom 19.5.2009 - B 8 SO 8/08 R), wonach bei Bestehen einer bloßen Haushaltsgemeinschaft - nicht einer Bedarfsgemeinschaft bzw Einsatzgemeinschaft- zwischen volljährigen SGB 12-Leistungsempfängern und erwachsenen Personen, die Leistungen nach dem SGB 2 beziehen, zugunsten des Sozialhilfeempfängers der Regelsatz eines Haushaltsvorstandes zu Grunde zu legen ist, unter Aufgabe seiner bislang vertretenen Auffassung (Aufgabe von LSG Halle vom 23.4.2008 - L 8 SO 5/06).

2. Der Regelsatz ist nach § 42 S 1 Nr 1 iVm § 28 Abs 1 S 2 SGB 12 abweichend festzulegen, wenn ein Teil des durch den Regelsatz erfassten Bedarfs durch ein für den Sozialhilfeempfänger kostenfreies Mittagessen in der WfbM gedeckt ist. Der Wert des Mittagessens ist nicht als Einkommen nach § 82 SGB 12, sondern auf den Bedarf des Hilfebedürftigen anzurechnen, da die Bestimmung des konkreten Bedarfs gegenüber der Einkommensanrechnung vorrangig ist (vgl BSG vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 21/06 R = BSGE 99, 252 = SozR 4-3500 § 28 Nr 3).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 23.03.2010; Aktenzeichen B 8 SO 17/09 R)

BSG (Beschluss vom 08.12.2009; Aktenzeichen B 8 SO 17/09 R)

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Stendal vom 4. Juni 2008 wird aufgehoben und der Bescheid des Beklagten vom 19. August 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 9. Februar 2006 wird abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum vom 1. Mai bis zum 31. Oktober 2005 weitere Regelleistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII von insgesamt 402,00 € zu zahlen.

Der Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt nur noch höhere Regelleistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach den Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Monate Mai bis Oktober 2005. Er wendet sich gegen die Anrechnung des Ausbildungsgeldes, das er während einer berufsfördernden Maßnahme in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) erzielt hat, als Einkommen.

Der am ... 1984 geborene Kläger ist als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Bis zum 30. August 2005 war durch das Amt für Versorgung und Soziales Magdeburg ein Grad der Behinderung von 50 ohne Merkzeichen festgestellt worden. Ab dem 1. September 2005 betrug der Grad der Behinderung 70, ebenfalls ohne Merkzeichen. Von der Bundesagentur für Arbeit erhielt er Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form eines Lehrgangs im Berufsbildungsbereich einer WfbM. Die Bundesagentur für Arbeit zahlte ihm hierfür im streitigen Zeitraum ein Ausbildungsgeld iHv monatlich 67,00 €. Der Kläger lebte in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter in deren Einfamilienhaus. Diese erhielt im streitigen Zeitraum Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Seit dem Tod des Vaters bezog der Kläger Halbwaisenrente. Diese betrug in den Monaten Mai und Juni 2005 je 184,09 €. Ab Juli 2005 belief sich die Halbwaisenrente auf 183,18 € monatlich.

Am 31. Mai 2005 beantragte der Kläger Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.

Mit Bescheid vom 19. August 2005 bewilligte der Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 1. Mai 2005 bis zum 30. April 2006 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung iHv monatlich 32,45 € in den Monaten Mai und Juni 2005 und iHv 33,36 € für die übrigen Monate des Bewilligungszeitraums. Diese hat er - für Mai 2005 - wie folgt errechnet:

Regelbedarf für einen Haushaltsangehörigen

265,00 €

Kosten der Unterkunft und Heizung

+18,54 €

Summe

283,54 €

abzüglich Ausbildungsgeld

- 67,00 €

abzüglich Waisenrente

- 184,09 €

Summe

251,09 €

Bedarf 283,54 € abzügl. Einkommen 251,09 €

Anspruch

32,45

Einen Abzug vom Regelsatz wegen des in der WfbM kostenfrei zur Verfügung gestellten Mittagessens hat der Bekla...

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