Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Regelsatz eines Volljährigen. Minderung des Bedarfsanteils. Teilnahme am kostenfreien Mittagessen. Werkstatt für behinderte Menschen ≪WfbM≫. Einkommenseinsatz. Ausbildungsgeld. keine Anrechnung von Reinigungskosten. kein Abzug von Kontoführungsgebühren. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Regelsatz für einen volljährigen Empfänger von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, der sich nicht wesentlich an den Generalunkosten der gemeinsamen Haushaltsführung beteiligt, beträgt 80 vH des Eckregelsatzes, auch wenn die mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt lebenden Eltern Leistungen nach dem SGB 2 beziehen.

2. Der maßgebliche Regelsatz ist bei tatsächlicher Teilnahme am kostenfreien Mittagessen in einer Werkstatt für behinderte Menschen um den hierfür im Regelsatz enthaltenen Bedarfsanteil zu mindern.

3. Ausbildungsgeld für die Teilnahme an einer Maßnahme im Arbeitstrainingsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen ist als Einkommen auf den Bedarf des Leistungsempfängers anzurechnen. Dabei ist nach § 82 Abs 3 S 2 SGB 12 ein Achtel des Eckregelsatzes zuzüglich 25 vH des diesen Betrag übersteigenden Entgelts anrechnungsfrei zu belassen.

 

Orientierungssatz

1. Die Ungleichbehandlung von Leistungsempfängern nach SGB 2 und SGB 12 verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art 3 Abs 1 GG.

2. Das Einkommen ist nicht nach § 82 Abs 2 Nr 4 SGB 12 um die Kosten der Reinigung von Arbeitskleidung zu mindern.

3. Geltend gemachte Kontoführungsgebühren können nicht als mit der Einkommenserzielung verbundene notwendige Ausgaben abgezogen werden, denn beim Ausbildungsgeld handelt es sich um eine Sozialleistung.

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Stendal vom 6. April 2006 und der Bescheid des Beklagten vom 10. Januar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 7. April 2005 werden abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum Januar bis Juni 2005 weitere Regelleistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Höhe von 279,82 € zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt nur noch höhere Regelleistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Monate Januar bis Juni 2005. Insbesondere wendet er sich gegen die Anrechnung von Ausbildungsgeld und in der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) kostenfrei zur Verfügung gestelltes Mittagessen auf die Höhe seiner Leistungen.

Der 1984 geborene Kläger ist schwerbehinderter Mensch. Für den streitigen Zeitraum hatte das Amt für Versorgung und Soziales Magdeburg einen Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen “G„ und “H„ festgestellt. Von der Bundesagentur für Arbeit erhielt er Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form eines Lehrgangs in einer WfbM. Dort bekam er kostenfreies Mittagessen. Die Bundesagentur für Arbeit zahlte ihm ein Ausbildungsgeld in Höhe von monatlich 67,00 €. Der Kläger lebte in einem gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern in deren Einfamilienhaus. Diese erhielten im streitigen Zeitraum Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Bis Dezember 2004 bezog der Kläger Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz. Hierzu hatte die Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt mit Schreiben vom 12. Mai 2004 auf Ersuchen des Beklagten mitgeteilt, dass der Kläger zumindest seit dem 19. August 2003 unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert sei und es unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne.

Am 2. Dezember 2004 beantragte der Kläger Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Hierzu gab er unter anderem an, Kindergeld werde an seinen Vater ausgezahlt (Kontoauszug vom 8. November 2004, Bl. 18 VA). An den Kosten der Unterkunft beteilige er sich in Höhe von monatlich 80,00 €, wozu er drei Quittungen für September, Oktober und November 2003 vorlegte (Bl. 19a ff. VA). Im Rahmen der Kosten der Unterkunft machte er u.a. Prämien für eine Rechtsschutzversicherung seines Vaters und eine Privathaftpflichtversicherung seiner Mutter geltend (Beitragsrechnungen Bl. 4 VA). Darüber hinaus hat er Belastungen durch anteilige GEZ-Gebühren in Höhe von 48,45 € vierteljährlich, eine pauschale Kontoführungsgebühr in Höhe von 20,00 € und Reinigungskosten für die Arbeitskleidung in Höhe von 12,60 € monatlich geltend gemacht.

Mit Bescheid vom 10. Januar 2005 hat der Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2005 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Höhe von monatlich 273,27 € bewilligt. Diese hat er wie folgt errechnet:

Regelbedarf für einen Haushaltsangehörigen

265,00 €

abzüglich des nach der Sachleistungsverordnung ermittelt...

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