Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. Klageerhebung. Beteiligtenfähigkeit. Rubrumskorrektur. Errichtung einer Sozialagentur. Gesetzesvorbehalt. Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Kostenerstattungsanspruch gem § 111 Abs 1 S 1 BSHG. Prüfung eines Antrags auf Abzweigung des Kindergelds nach § 74 EStG. Verletzung des Interessenwahrungsgrundsatzes
Leitsatz (amtlich)
1. Erhebt eine nicht beteiligtenfähige Behörde im eigenen Namen statt im Namen ihres Rechtsträgers Klage, so kann eine Rubrumskorrektur von Amts wegen zulässig sein. Eine - zustimmungspflichtige - Klageänderung liegt erst vor, wenn ein echter Beteiligtenwechsel erfolgt.
2. Die Errichtung der Sozialagentur Sachsen-Anhalt im Erlasswege in der Form eines Landesbetriebs ist rechtswirksam.
3. Art 86 Abs 2 Verf ST 1992 enthält keinen Gesetzesvorbehalt für die Errichtung einzelner Behörden.
4. Ein Kostenerstattungsanspruch gegen den erstattungspflichtigen Sozialhilfeträger setzt voraus, dass der erstattungsberechtigte Sozialhilfeträger den Interessenwahrungsgrundsatz gem § 111 Abs 1 S 1 BSHG beachtet hat. Dieser verlangt, dass im Rahmen der Leistungserbringung der Nachrang der Sozialhilfe beachtet worden ist.
5. Der erstattungsberechtigte Sozialhilfeträger hat alle zumutbaren und möglichen Vorkehrungen zu treffen, um die Kosten möglichst niedrig zu halten. Dazu gehört auch die Prüfung der Durchsetzbarkeit eines Antrags auf Abzweigung des Kindergelds von den Eltern des Hilfebedürftigen nach § 74 EStG.
6. Eine Verletzung des Interessenwahrungsgrundsatzes liegt nicht allein deshalb vor, weil keine Entscheidung über die Einleitung eines Abzweigungsverfahrens getroffen wurde. Erforderlich ist zudem, dass ein solcher Antrag nach § 74 EStG nicht von vornherein aussichtslos war und die Möglichkeit eines Erfolgs bestand. Dann entfällt wegen der unterlassenen Geltendmachung eine Kostenerstattung in Höhe des denkbaren Anspruchs. Dabei geht die Nichterweislichkeit des hypothetischen Ausgangs zu Lasten des erstattungsberechtigten Sozialhilfeträgers.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 21. November 2007 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 6.373,20 € festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von dem Beklagten Kostenerstattung nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) für der Hilfeempfängerin Bi. N. (HE) erbrachte Leistungen der stationären Eingliederungshilfe im Zeitraum vom 10. Februar 1999 bis zum 30. November 2002.
Die 1959 in B. geborene HE ist körperlich und geistig wesentlich behindert, blind und gehörlos (weitere Diagnosen: Imbezillität, Epilepsie, starke Verhaltensstörung mit Autoaggressivität, Inkontinenz). Sie lebte mit ihren Eltern zunächst in B. -F. . Von Mai 1962 bis Januar 1963 wurde sie in der Kinderpsychiatrischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses H. in B. Li. behandelt. In der Folgezeit war sie im Spezial-Kinderheim “W. „ in Ba. Fr. (Bezirk Fra. /O. ) untergebracht. Seit Oktober 1974 lebt die HE in den N. Anstalten in N. .
Auf den ersten Sozialhilfeantrag vom 14. Juni 1991 erteilte das Amt für Versorgung und Soziales Magdeburg als überörtlicher Sozialhilfeträger unter dem 27. November 1991 ein Grundanerkenntnis über Eingliederungshilfe nach § 39 iVm § 40 BSHG in einer stationären Einrichtung, stellte die Zugehörigkeit der HE zum Personenkreis der körperlich und geistig wesentlich behinderten Menschen iSv § 39 Abs. 1 BSHG iVm §§ 1, 2 der Verordnung zu § 47 BSHG fest und erkannte die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe gemäß § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG ab dem 1. Juli 1991 an. Seither bezieht die HE Eingliederungshilfeleistungen vom Kläger; die Leistungserbringung wurde durch den damaligen Landkreis Quedlinburg als herangezogener Gebietskörperschaft abgewickelt.
Mit Schreiben vom 7. Februar 2000 meldete der Landkreis Quedlinburg bei der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales Berlin einen “Erstattungsanspruch §§ 103 ff. BSHG„ im Namen des überörtlichen Sozialhilfeträgers des Landes Sachsen-Anhalt für die HE an, bat um Anerkennung der Kostenerstattungspflicht dem Grunde nach sowie um Übernahme des Hilfefalls in eigene Zuständigkeit ab dem 1. Oktober 2002. Er führte aus, vor ihrer Aufnahme in der Einrichtung habe die HE ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gehabt.
Mit Schreiben vom 19. September 2002 erkannte das Bezirksamt Lichtenberg des Beklagten eine Kostenerstattungspflicht gemäß § 103 BSHG unter Beachtung der Ausschlussfrist gemäß § 111 SGB X dem Grunde nach ab dem 10. Februar 1999 (Eingang des Kostenerstattungsantrags) an. Zugleich erklärte das Bezirksamt, der Hilfefall werde ab dem 1. Dezember 2002 in die laufende Bearbeitung übernommen und insoweit der Zuständigkeitswechsel nach § 97 Abs. 2 BSHG vollzogen.
Mit Schreiben vom 28. April 2003 bezifferte der Landkreis Quedlinburg den Erstattungsanspruch für den Zeitraum vom 10. Februar 1999 bis zum 30. Novemb...