Entscheidungsstichwort (Thema)

Annahme der Gefährdung des Wohls von Kindern und Jugendlichen in einer Einrichtung bei Zahlungsunfähigkeit und starker Überschuldung des Trägers der Einrichtung. Voraussetzungen für den Widerruf der Betriebserlaubnis nach § 45 Abs. 2 S. 5 SGB VIII i.d.F. von 2006

 

Leitsatz (amtlich)

Ist der Träger einer Einrichtung, in der Kinder/Jugendliche betreut werden, sowohl zahlungsunfähig als auch stark überschuldet und hat er überdies finanzielle Verbindlichkeiten, die im Zusammenhang mit dem Betrieb der Einrichtung entstanden sind, in erheblichem Umfang nicht erfüllt, ist in aller Regel eine Gefährdung des Wohls der Kinder/Jugendlichen in der Einrichtung anzunehmen.

 

Normenkette

SGB VIII i.d.F. v. 2006 § 45 Abs. 2 S. 5; SGB VIII § 45 Abs. 7 S. 1

 

Verfahrensgang

VG Osnabrück (Entscheidung vom 15.12.2010; Aktenzeichen 4 A 133/09)

 

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ist unbegründet. Denn die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 5 VwGO liegen nicht vor.

Entgegen der Auffassung der Klägerin bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, mit dem das Verwaltungsgericht die Klage gegen den Widerruf der der Klägerin erteilten Erlaubnis zum Betrieb einer Einrichtung zur Betreuung von Kindern und Jugendlichen als unbegründet abgewiesen hat.

Der Senat stimmt mit dem Verwaltungsgericht darin überein, dass der angefochtene Bescheid vom 29. Juli 2009 rechtmäßig ist, weil die Voraussetzungen für den Widerruf der Betriebserlaubnis nach § 45 Abs. 2 Satz 5 SGB VIII in der Fassung vom 14. Dezember 2006 (jetzt § 45 Abs. 7 Satz 1 SGB VIII in der Fassung vom 22. Dezember 2011) in dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheides vorgelegen haben. Nach dieser Bestimmung ist eine Erlaubnis nach § 45 Abs. 1 SGB VIII, die der Klägerin mit Bescheid vom 30. Januar 2007 erteilt worden war, zurückzunehmen oder zu widerrufen, wenn das Wohl der Kinder/Jugendlichen in der Einrichtung gefährdet und der Träger der Einrichtung nicht bereit oder in der Lage ist, die Gefährdung abzuwenden.

Im vorliegenden Fall war bei Erlass des angefochtenen Bescheides davon auszugehen, dass das Wohl der Kinder/Jugendlichen in der von der Klägerin betriebenen Einrichtung gefährdet gewesen ist. Das ergibt sich aus Folgendem:

Die DAK hat im Februar 2009 beim Amtsgericht C. einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge einschließlich Säumniszuschlägen und Mahngebühren für die Zeit von August 2008 bis Januar 2009 in Höhe von 5.265,96 EUR gestellt. Daraufhin hat das Amtsgericht Lingen den durch Beschluss vom 5. März 2009 zum Sachverständigen bestellten Rechtsanwalt B. mit der Erstellung eines Gutachtens u. a. dazu beauftragt, ob Tatsachen vorliegen, die den Schluss auf eine (drohende) Zahlungsunfähigkeit der Klägerin gerechtfertigen, und ob eine die Verfahrenskosten deckende Masse vorhanden ist. Rechtsanwalt B. hat in seinem Gutachten vom 27. März 2009 dazu ausgeführt, dass die Klägerin zahlungsunfähig sei, weil sie nur über ein Kontoguthaben von 300,– EUR verfüge, dem fällige Sozialversicherungsbeiträge von mehr als 12.000,– EUR und fällige Forderungen von Handwerkern von mehr als 40.000,– EUR gegenüber stünden. Des Weiteren hat Rechtsanwalt B. erklärt, dass eine die Kosten des Insolvenzverfahrens deckende Masse vorhanden sei. Daraufhin hat das Amtsgericht C. durch Beschluss vom 14. April 2009 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin eröffnet und Rechtsanwalt B. zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser hat dem Amtsgericht C. unter dem 8. Juni 2009 berichtet, dass dem Aktivvermögen der Klägerin von 355.457,72 EUR Verbindlichkeiten in Höhe von 532.767,61 EUR gegenüber stünden; davon entfielen auf Verbindlichkeiten gegenüber Lohnempfängern, Sozialversicherungsunternehmen, der Bundesagentur für Arbeit und der Berufsgenossenschaft für Gesundheitswesen und Wohlfahrtspflege 33.563,21 EUR und auf Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt 3160,87 EUR. Da das von der Klägerin betriebene Heim nicht die volle Belegung von acht Kindern aufgewiesen habe, seien monatliche Fehlbeträge erwirtschaftet worden. Angesichts dieser Situation habe die Klägerin – wie schon im Zusammenhang mit einem früheren Insolvenzverfahren – ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen können. Dadurch hätten sich Rückstände u. a. bei Sozialversicherern aufgebaut.

Bei dieser Sachlage war im Zeitpunkt des Widerrufs der Betriebserlaubnis von einer Gefährdung des Wohls der Kinder/Jugendlichen in der von der Klägerin betriebenen Einrichtung auszugehen.

Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens setzt nach § 16 InsO voraus, dass ein Eröffnungsgrund gegeben ist. Allgemeiner Eröffnungsgrund ist nach § 17 Abs. 1 InsO die Zahlungsunfähigkeit. Der Schuldner ist nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zah...

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