Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrenskostenhilfe: Keine Anwendung von §§ 76 Abs. 1 FamFG, 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO in dem vor dem Richter geführten Bewilligungsverfahren
Normenkette
FamFG § 76 Abs. 1; ZPO § 124 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
AG Wetzlar (Beschluss vom 21.03.2024; Aktenzeichen 618 F 1058/23) |
Tenor
Unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung wird der Antragstellerin für das erstinstanzliche Verfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt A in Stadt1 bewilligt.
Gründe
I. Die Antragstellerin wendet sich mit der sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für ein sorgerechtliches Abänderungsverfahren.
Das Familiengericht begründete seine nach Bestellung einer Verfahrensbeiständin und Durchführung eines Erörterungstermins in der Hauptsache ergangene Entscheidung vom 21.3.2024 mit der Erwägung, die Antragstellerin habe in der von ihr zur Akte gereichten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- und Verfahrenskostenhilfe erhebliche Einkünfte verschwiegen, in der Nichtabhilfeentscheidung vom 10.7.2024 ferner mit der Bejahung einer Mutwilligkeit der auf Wiederherstellung der elterlichen Sorge für das Kind der Antragstellerin gerichteten Rechtsverfolgung.
Gegen die ihrem Bevollmächtigten am 25.6.2024 zugestellte Entscheidung legte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 4.7.2024 per beA sofortige Beschwerde ein und führte zur Begründung aus, sie habe ihre Einkünfte nicht verheimlicht, sondern lediglich an der falschen Stelle des Erklärungsformulars angegeben; auch sei ihr Antrag nicht mutwillig, denn ihr in der Vorentscheidung für den Entzug der elterlichen Sorge maßgeblicher schlechter psychischer Zustand habe sich inzwischen gebessert.
II. Die gemäß §§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO statthafte und auch sonst zulässige sofortige Beschwerde, mit der sich die Antragstellerin gegen die Zurückweisung ihres Verfahrenskostenhilfeantrags wendet, hat auch in der Sache Erfolg. Ihr war die nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten zu bewilligen. In ihrer Person sind die Voraussetzungen der §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114, 115 ZPO - materielle Bedürftigkeit, hinreichende Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung, kein Mutwillen - erfüllt.
1. Auch stehen der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe die fehlerhaften Angaben der Antragstellerin in ihrer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- und Verfahrenskostenhilfe vom 1.11.2023 nicht entgegen. Dort finden allerdings die von ihr bis zum Monat November 2023 einschließlich erzielten monatliche Einkünfte aus einer entgeltlichen Tätigkeit iHv. 501,28 EUR netto keine Erwähnung. Vielmehr gibt die Antragstellerin unter lit. E des Formulars ("Bruttoeinnahmen") lediglich an, Einkünfte aus "Asylbewerberleistung" in Höhe von 502,- EUR zu beziehen. Dem als Anlage beigefügten Bescheid des B-Kreises über die Gewährung von Leistungen nach den Bestimmungen des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 29.9.2023 lässt sich allerdings entnehmen, dass sie zu diesem Zeitpunkt mindestens seit Juli 2023 Einnahmen aus entgeltlicher Tätigkeit iHv. 501,28 EUR erzielte und ihr zudem Leistungen nach dem AsylbLG iHv. 27,94 EUR gewährt wurden. Dass die Antragstellerin darüber hinaus spätestens seit November 2023 weitere monatliche Nettoeinnahmen iHv. ca. 800,- EUR für ihre Tätigkeit bei einem C-Unternehmen bezieht, lässt sich dagegen weder dem Formular noch der Anlage entnehmen und stellte sich erst heraus, als die Familienrichterin die Vorlage von aktuellen Kontoauszügen der Antragstellerin anordnete.
Die unvollständigen Angaben der Antragstellerin rechtfertigen jedoch nicht die Verweigerung der nachgesuchten Verfahrenskostenhilfe insgesamt. Zwar geben §§ 76 Abs. 1 FamFG, 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO dem gem. § 20 Nr. 4 lit. c RPflG für die Durchführung des Überprüfungsverfahrens zuständigen Rechtspfleger die Möglichkeit, die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe aufzuheben, wenn ein Beteiligter absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über seine persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat. Entgegen der - in ihrer Intention nachvollziehbaren - Rechtsauffassung des Familiengerichts gelangen §§ 76 Abs. 1 FamFG, 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nach ganz h. M. in dem vor dem Richter geführten Bewilligungsverfahren jedoch nicht (auch nicht analog) zur Anwendung (vgl. BGH FamRZ 2015, 1874; OLG Koblenz FamRZ 2019, 1940; OLG Brandenburg, Beschluss vom 2. September 2016 - 13 WF 211/16 -, juris; OLG Karlsruhe FamRZ 2015, 353; Musielak/Voit/Fischer, 21. Aufl. 2024, ZPO § 124 Rn. 5; MüKoZPO/Wache, 6. Aufl. 2020, ZPO § 124 Rn. 3; a.A. OLG Hamm FamRZ 2015, 1419; OLG Bamberg FamRZ 2014, 589; ebenso wohl auch Gottschalk/Schneider, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 10. Auflage 2022, Rn. 214).
Denn § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ist nach seinem Inhalt und seiner systematis...