Entscheidungsstichwort (Thema)
Amtspflichtverletzung: Verletzung der Pflicht zur Gewährleistung eines Betreuungsplatzes (hier: Kita-Platz)
Normenkette
BGB § 839 Abs. 1; GG Art. 34; SGB VIII § 24 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Darmstadt (Urteil vom 16.07.2020; Aktenzeichen 10 O 393/19) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 16.7.2020 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 10. Zivilkammer abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.137,26 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.2.2020 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 13.000,- EUR
festgesetzt.
Gründe
I. Auf die im ersten Rechtszug vom Landgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen im Tatbestand des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO). Von weitergehenden Feststellungen zur Tatsachengrundlage wird gemäß § 540 Abs. 2 i.V.m. § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Der Klägerin steht gegen den beklagten Kreis ein Anspruch aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG wegen Verletzung seiner Amtspflicht zur Erfüllung des Förderanspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII in der beantragten Höhe zu.
Nach § 24 Abs. 2 SGB VIII hat ein Kind, welches das erste Lebensjahr vollendet hat, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres einen Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung (§ 22 Abs. Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) oder in Kindertagespflege (§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII). Hiermit korrespondiert die Amtspflicht des örtlich (§ 86 SGB VIII) und sachlich (§ 85 Abs. 1 SGB VIII) zuständigen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe (§ 3 Abs. 2 Satz 2, § 69 Abs. 1 SGB VIII) im Rahmen seiner die Planungsverantwortung umfassenden Gesamtverantwortung (§ 79 Abs. 1 und 2 Nr. 1, § 80 SGB VIII) sicherzustellen, dass für jedes anspruchsberechtigte Kind, für das ein entsprechender Bedarf rechtzeitig angemeldet worden ist (§ 24 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII), einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen. Nach § 5 Abs. 1 HKJGB sind in Hessen die Landkreise, die kreisfreien Städte und die nach § 5 Abs. 2 HKJGB zu örtlichen Trägern bestimmten kreisangehörigen Gemeinden die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Im Streitfall ist zuständiger Träger der öffentlichen Jugendhilfe der Beklagte.
Den Beklagten als Träger der öffentlichen Jugendhilfe trifft im Rahmen des § 24 Abs. 2 SGB VIII eine unbedingte Gewährleistungspflicht, unter den dort normierten Bedingungen einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen (BGH, Urteil 20.10.2016, III ZR 302/15, juris Rn. 17). Dies ergibt sich aus dem Zusammenspiel des in § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII geregelten Förderanspruchs mit der Vorschrift des § 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII, wonach der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu gewährleisten hat, dass zur Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB VIII die erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen. Es besteht hiernach eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe sicherzustellen, dass eine dem Bedarf entsprechende Anzahl von Betreuungsplätzen vorgehalten wird (BVerwG, Urt. v. 26.10.2017, 5 C 19/16, juris Rn. 30). Unzutreffend ist die Ansicht, die gesetzliche Aufgabe der Landkreise beschränke sich darauf, auf der Basis der von der betreffenden Kommune zugelieferten Daten eine Bedarfsplanung zu erstellen und die Kommunen sodann anzuhalten, im Rahmen ihrer eigenen Verantwortung nach § 30 Abs. 2 HKJGB entsprechende Kapazitäten bereitzustellen. Richtig ist zwar, dass die Kommunen nach § 30 Abs. 1 Satz 1 HKJGB in Zusammenarbeit mit den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe den Bedarf an Betreuungsplätzen ermitteln und nach § 30 Abs. 2 Satz 1 HKJGB in eigener Verantwortung dafür Sorge tragen, dass die im Bedarfsplan vorgesehenen Plätze in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege zur Verfügung stehen. Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 HKJGB steht dies jedoch ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Gesamtverantwortung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, so dass eine Aufgabenübertragung auf die Kommunen, insbesondere eine Übertragung der Pflicht zur Erfüllung eines Anspruches aus § 24 Abs. 2 SGB VIII, gerade nicht stattfindet (Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss v. 10.1.2017, 10 B 2923/16, juris Rn. 11). Die entsprechende Amtspflicht des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe besteht auch nicht etwa nur im Rahmen der vorhandenen, von den Gemeinden geschaffenen Kapazitäten, sondern der Träger ist aufgrund seiner Gesamtverantwortung gehalten, eine ausreichende Anzahl von Betreuungsplätzen selbst zu schaffen oder durch geeignete...