Entscheidungsstichwort (Thema)
Jugendamt – Kindeswohl – Hilfen zur Erziehung. Familiensache. Herausgabe des Kindes und Übertragung des Antragsrechts auf Hilfen zur Erziehung gemäß §§ 27 ff. SGB VIII
Leitsatz (amtlich)
Dem aufenthaltsbestimmungsberechtigten Jugendamt ist gem. § 1666 BGB das Antragsrecht für Hilfen zur Erziehung gem. §§ 33 – 35 SGB VIII zu übertragen, wenn andere Maßnahmen im Hinblick auf das Alter des Kindes nicht als ausreichend erscheinen, um einer ernsthaften Gefährdung des Kindeswohls entgegenzuwirken.
Normenkette
BGB § 1666; SGB VIII §§ 33, 35, 34
Verfahrensgang
AG Karlsruhe-Durlach (Urteil vom 10.06.1999; Aktenzeichen VIII 243/86) |
Tenor
Auf die Beschwerde werden die Beschlüsse des Amtsgerichts – Vormundschaftsgericht – … vom 22.02.1999 und vom 10.06.1999 – VIII 243/86 – aufgehoben und wie folgt abgeändert:
1. Dem Stadtamt … – Bezirksstelle für Sozial- u. Jugendwesen – wird das Recht zur Beantragung von Hilfen zur Erziehung gemäß §§ 27 ff. SGB VIII. insbesondere der §§ 33 – 35 SGB VIII, übertragen.
2. Das Kind …, geb. am 05.09.1986, derzeit wohnhaft bei der Mutter, ist auf Verlangen des als vorläufiger Pfleger bestellten Stadtamts …-Bezirksstelle für Sozial- u. Jugendwesen – an dieses herauszugeben.
Die Trennung des Kindes von der Kindesmutter wird für zulässig erklärt.
3. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
4. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,00 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Auf Antrag des Stadtamts …- Bezirksstelle für Sozial- u. Jugendwesen (im folgenden: Stadtjugendamt …) – vom 05.08.1997 hat das Amtsgericht – Vormundschaftsgericht – … mit Beschluß vom 21.08.1997 – VIII 243/86 – im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht über das Kind …, geb. am 05.09.1986, der Kindesmutter, Frau …, entzogen und einstweilen auf das Stadtjugendamt als … vorläufiger Pfleger übertragen (I, 53). Als Grund für diese Maßnahme wurde die mangelhafte Erziehung durch die Mutter sowie die schwachen schulischen Leistungen und das problematische Sozialverhalten des Jungen angeführt.
In der Folgezeit hat das Stadtjugendamt … mehrfach beantragt, dem Stadtamt das Antragsrecht auf Hilfen zur Erziehung gemäß §§ 27 ff. SGB VIII und hierbei insbesondere der §§ 33 – 35 SGB VIII zu übertragen und die Herausgabe des Kindes an das als vorläufiger Pfleger eingesetzte Stadtjugendamt auszusprechen. Angeführt wurde insoweit, daß die vom Stadtjugendamt vorgeschlagenen Hilfen (Ergotherapie; therapeutische Tagesgruppe) nach anfänglichem Zögern von der Mutter zwar angenommen worden seien, es mangele jedoch an einer kontinuierlichen, konsequenten und verläßlichen Mitwirkung der Kindesmutter, weshalb die Maßnahmen unter Erziehungsgesichtspunkten erfolglos geblieben wären. Im Ergebnis seien weiterhin nachlassende schulische Leistungen bei … festzustellen, auch hätten sich die Verwahrlosungstendenzen bei dem Jungen, wie die mehrfachen Schulausschlüsse und die polizeilichen Auffälligkeiten belegen würden, verstärkt.
Das Amtsgericht – Vormundschaftsgericht – … hat zur weiteren Sachaufklärung den Sachverständigen Dipl.-Psych. …, mit der Erstellung eines familienpsychologischen Gutachtens beauftragt, welches mit Datum vom 24.12.1998 vorgelegt wurde. Der Gutachter, der sowohl die Mutter wie auch das Kind untersucht sowie das soziale Umfeld bei der Großmutter aufgeklärt und mit der Leiterin des von … besuchten Schülerhorts gesprochen hat, kommt zu dem Ergebnis, daß die Gefahr einer Verwahrlosung (Deprivation) des Jungen bestehe und deshalb ein Eingreifen notwendig sei. Hierfür sei eine Ganztagseinrichtung geeignet, welche einerseits die notwendige Erziehung sichere, ohne andererseits die – unter psychohygienischen Aspekten protektiv wirkenden – familiären Bindungen zu lockern, die vorliegend durch eine beinahe symbiotische Mutter-Kind Beziehung geprägt seien. Die Erziehungsfähigkeit der Mutter sei eingeschränkt, aber steigerbar. Bei einer vollstationären Unterbringung wäre die Kindesmutter seiner Einschätzung nach ernsthaft gefährdet.
In erster Linie gestützt auf dieses Sachverständigengutachten hat das Amtsgericht – Vormundschaftsgericht – … mit Beschluß vom 22.02.1999 (I, 141) den Antrag des Stadtjugendamts auf Herausgabe des Kindes und auf Übertragung des Antragsrechts für Hilfen zur Erziehung gemäß § 33 – 35 SGB VIII als unbegründet zurückgewiesen. Seitens des Amtsgerichts wird eine teilstationäre Lösung vorgeschlagen.
Gegen den nicht förmlich zugestellten Beschluß richtet sich die Beschwerde des Stadtjugendamts … vom 31.03.1999, eingegangen beim Amtsgericht – Vormundschaftsgericht – … am 08.04.1999 (I, 255). Begründet wird die Beschwerde damit, daß eine teilstationäre Unterbringung nicht mehr ausreiche, um auf Daniel in einer dem Kindeswohl entsprechenden Weise einzuwirken. Vielmehr sei eine vollstationäre Unterbringung beziehungsweise Heimunterbringung geboten, insbesondere, da alle anderen Hilfsangebote, wie sie in dem Bericht vom 18.03.1999 aufgelistet worden seien (I, 289), im Ergebnis kei...