Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendigkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers. Aufgaben des an einem Sorgerechtsverfahren beteiligten Jugendamtes
Leitsatz (amtlich)
1. Von der Bestellung eines Verfahrenspflegers kann nicht abgesehen werden, wenn sich die 7 und 11 Jahre alten Kinder in einer verschlossenen Gemütsverfassung befinden und der Familienrichter bei seiner Anhörung deshalb keinen Zugang zu den Kindern findet.
2. Das an einem Sorgerechtsverfahren beteiligte Jugendamt hat die erforderlichen Ermittlungen anzustellen und hierzu die örtlichen Verhältnisse sowie das Umfeld beider Elternteile durch Hausbesuch zu klären. Das Jugendamt hat darüber hinaus auf Grund seiner besonderen Erfahrung alle für das Verfahren maßgebenden Aspekte zur Geltung zu bringen und dem FamG einen Entscheidungsvorschlag zu unterbreiten.
Normenkette
FGG §§ 12, 49, 49a, 50; SGB VIII § 50
Verfahrensgang
AG Stuttgart (Beschluss vom 19.05.2006; Aktenzeichen 28 F 1129/05) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des AG Stuttgart - FamG - vom 19.5.2006 (28 F 1129/05) aufgehoben.
2. Das Verfahren wird zur erneuten sachlichen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an das AG Stuttgart - FamG - zurückverwiesen.
3. Das Verfahren über die Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Beschwerdewert: 3.000 EUR.
Gründe
I. Die Parteien sind die Eltern der Kinder F., geb. am.1995 und L., geb. am.1998. Die Eheleute lebten seit dem Frühjahr 2005 zunächst innerhalb der Ehewohnung getrennt, sind dort zwischenzeitlich aber beide ausgezogen.
Da sie sich wegen des Aufenthalts ihrer Söhne nicht verständigen konnten und wechselseitige Anträge zum Aufenthaltsbestimmungsrecht gestellt haben, hat das AG zunächst im Wege der einstweiligen Anordnung durch Beschluss vom 19.7.2005 und abschließend durch Beschluss vom 19.5.2006 das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Vater übertragen.
Das AG hatte die Kinder und die Parteien zweimal angehört. Das beteiligte Jugendamt hat sich mit Schreiben vom 20.2.2006 geäußert.
Die Antragsgegnerin begehrt mit ihrer Beschwerde die Abänderung der Entscheidung des AG mit dem Ziel, dass ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Söhne übertragen wird.
II. Die Beschwerde ist gem. § 621e Abs. 1 ZPO zulässig und führt zur Aufhebung und Zurückverweisung des Verfahrens an das AG Stuttgart, denn das Verfahren leidet daran, dass der Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt ist.
Bei einem Verfahren, das die Regelung der elterlichen Sorge betrifft, gelten letztlich die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Nach § 12 FGG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen zu veranstalten und die geeignet erscheinenden Beweise aufzunehmen (Keidel/Kuntze/Weber, FGG 15. Aufl., § 64 Rz. 36b). Es ist dabei weder an Beweisanträge der Beteiligten gebunden noch verpflichtet, alle Beweisanträge zu berücksichtigen, doch es muss von Amts wegen die entscheidungserheblichen Umstände aufklären, soweit das Vorbringen der Beteiligten oder der Sachverhalt dazu Anlass bietet.
Für die am Kindeswohl zu orientierende Entscheidung ist es von besonderer Bedeutung, dass die Interessen der Kinder in einer Weise in das Verfahren eingebracht werden, die ihrer grundrechtlichen Position hinreichend Rechnung trägt (Keidel/Kuntze/Engelhardt, FGG 15. Aufl., § 50 Rz. 1).
Das AG hat unter Beachtung des Amtsermittlungsgrundsatzes die Kinder angehört, in den hierzu verfassten Niederschriften vom 13.7.2005 und 5.4.2006 aber eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht, in welch angespannter und auch verschlossener Gemütsverfassung beide Kinder, vor allem aber der 11-jährige F. waren. Da F. bei beiden Anhörungen geäußert hat, dass er bei seinem Vater leben möchte, ist dieser Wille ein Indiz für die Bindungen des Kindes und auch Ausdruck einer eigenen und bewussten Entscheidung zwischen seinen getrennt lebenden Eltern. Ob diese Äußerungen aber dem wirklichen Willen des Kindes entsprechen oder nur Ausdruck eines für das Kind nicht lösbaren Konfliktes sind, bleibt offen.
Das gilt erst recht für den 3 ½ Jahre jüngeren L.. Während sich dieser in der ersten Anhörung noch positioniert hat (wenngleich nach dem Eindruck des AG in Anlehnung an seinen älteren Bruder), hat er bei der 2. Anhörung betont, dass er beide Eltern mag und vor allem deshalb gerne in V. lebe, da seine Oma dort in unmittelbarer Nähe lebe.
Dieser Erkenntnisstand hätte nach der Überzeugung des Senats die Bestellung eines Verfahrenspflegers erfordert (§ 50 Abs. 2 Nr. 1 FGG). Weshalb hiervon abgesehen worden ist, wurde in der angefochtenen Entscheidung nicht begründet (§ 50 Abs. 2 S. 2 FGG). Ein Verfahrenspfleger kann in der für die Kinder vertrauten Umgebung ohne die Belastung eines Gerichtstermins mit den Kindern ins Gespräch kommen und die Wünsche, die konkreten Lebensumstände und Nöte der Kinder erfassen und danach den Kindeswillen authentisch vortr...