Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. unangemessene Unterkunftskosten. Kostensenkungsverfahren. kein Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen bis zur Klärung der Zumutbarkeit des Umzugs
Leitsatz (amtlich)
1. Es gab und es gibt im SGB 2 keine Regelung, auf Grund derer in Fällen, in denen die Zumutbarkeit eines Umzuges streitig ist, die Unterkunftskosten bis zum Abschluss der Sachverhaltsermittlung in vollem Umfang zu übernehmen wären. Auch aus der Erklärung einer Behörde, die Zumutbarkeit eines Umzuges prüfen zu wollen, kann grundsätzlich ein solcher Anspruch auf Kostenübernahme für eine Übergangszeit nicht hergeleitet werden.
2. Das Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit der Kostensenkung in § 22 Abs 1 S 3 SGB 2 (in der vom 1.1.2007 bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung) ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der vollen Prüfung durch die Sozialgerichte unterliegt.
3. Eine unzureichende oder gänzlich unterbliebene Sachverhaltsermittlung durch eine Behörde begründet keinen Anspruch nach § 22 Abs 1 S 3 SGB 2 (in der vom 1.1.2007 bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung) auf Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten.
Tenor
I. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 25. August 2010 wird zurückgewiesen.
II. Die außergerichtlichen Kosten der Kläger sind auch im Beschwerdeverfahren erstattungsfähig.
Gründe
I.
Der Beklagte wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 25. August 2010, in dem das Sozialgericht seinen Vorgänger, die ARGE SGB II C… (im Folgenden: ARGE), verurteilt hat, den Klägern die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung zu bewilligen.
Die 1953 geborene Klägerin zu 1 und ihr Ehemann, der 1949 geborene Kläger zu 2, bezogen seit 1. Februar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Sie bewohnten eine 91 m² große 4-Raum-Wohnung mit einer damaligen Grundmiete in Höhe von 363,49EUR sowie Vorauszahlungen auf Betriebskosten in Höhe von 101,35 EUR und auf Heizung und Warmwasser in Höhe von 32,29 EUR. Bereits im Bescheid vom 20. Dezember 2004 wurden die Kläger darauf hingewiesen, dass die Bruttokaltmiete die angemessenen Kosten, die 365,00 EUR für einen 2-Persoen-Haushalt betrügen, übersteige und deshalb die tatsächliche Unterkunftskosten nur für sechs Monate übernommen würden. Bei späteren Berechnungen von Leistungsansprüchen legte die ARGE eine Grundmiete in Höhe von 365,00 EUR zugrunde.
Ausweislich einer Niederschrift über ein Gespräch am 30. November 2006 erklärte sich die Klägerin zu 1 bereit, dass der Differenzbetrag zur Miete übernommen werde. Mit Schreiben vom 4. März 2008 unterrichtete die ARGE die Klägerin zu 1 über die Grenzbeträge in der Unterkunfts- und Heizungsrichtlinie des Stadt C…. Die derzeitigen Unterkunftsaufwendungen würden den Umfang der Angemessenheit um 117,49 EUR überschreiten. Die Klägerin zu 1 wurde ferner über die Pflicht zur Kostensenkung unterrichtet und gebeten, zur abschließenden Klärung der Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung eine Erklärung abzugeben. Das beigefügte Formular sah folgende zwei Alternativen vor:
- “Ich möchte meine derzeitige Wohnung behalten und trage die monatlichen Mehrkosten über die Angemessenheit sowie evtl. Betriebskostennachzahlungen selber.„
- “Ich bin grundsätzlich bereit auf Verlangen der Arbeitsgemeinschaft Chemnitz SGB II mir einen angemessenen Wohnraum zu suchen.„
Unter dem 4. März 2008 kreuzte die Klägerin zu 1 die erste Variante an und unterschrieb die Erklärung.
Mit Bescheid vom 13. März 2008 bewilligte die ARGE SGB II C… den Klägern für die Zeit vom 1. März 2008 bis 31. August 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Für die Leistungsberechnung legte sie 365,00 EUR als angemessene Unterkunftskosten zugrunde. Mit Schreiben vom 15. März 2008 legte die Klägerin zu 1 Widerspruch ein. Im Schreiben vom 21. März 2008 trug sie hierzu vor, dass ihr bei ihrer Unterschrift auf dem Formular am 4. März 2008 nicht die Auswirkungen auf den Leistungsbescheid bewusst gewesen seien. Ihr Mann leide seit dem Jahr 2003 an Krebs. Im Juli 2005 sei ihre Erkrankung (chronische Pankreatitis) hinzugekommen. Sie seien deshalb über Jahre geschwächt und nicht in der Lage umzuziehen. Beide würden eine Erwerbsminderungsrente erhalten. Ihr Mann sei zusätzlich schwerbehindert. Diese Angaben zur Begründung des Widerspruches machte die Klägerin zu 1 auch anlässlich einer telefonischen Rücksprache eines Mitarbeiters der ARGE SGB II C… am 27. März 2008. Am Ende der Gesprächsnotiz ist festgehalten, der Klägerin zu 1 sei mitgeteilt worden, dass nach Posteingang ihrer schriftlichen Begründung zum Widerspruch vom 15. März 2007 eine Prüfung erfolgen werde, ob und in welcher Form ein etwaiger Umzug zumutbar sei.
Nach einem Aktenvermerk über ein internes Gespräch am 2. April 2008 bei der ARGE sollte ...