Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Erstattung vorläufig erbrachter Leistungen nach abschließender Entscheidung. Verjährungsfrist von 4 Jahren. Hemmung der Verjährung bzw Verjährungsfrist von 30 Jahren nur bei zusätzlichem unanfechtbaren Verwaltungsakt zur Durchsetzung des Erstattungsanspruchs

 

Leitsatz (amtlich)

Nach bestandskräftiger abschließender Festsetzung des Leistungsanspruchs unterliegt der bestandskräftig festgesetzte Erstattungsanspruch des Grundsicherungsträgers nach § 40 Abs 2 Nr 1 SGB II (in der bis zum 31.7.2016 geltenden Fassung) in Verbindung mit § 328 Abs 3 S 2 SGB III in entsprechender Anwendung des § 42 Abs 2 S 3 SGB I in Verbindung mit § 50 Abs 4 SGB X der vierjährigen Verjährung, sofern nicht innerhalb dieser Verjährungsfrist durch einen zusätzlichen - unanfechtbar gewordenen - Verwaltungsakt zur Durchsetzung des Erstattungsanspruchs nach § 50 Abs 4 S 3 SGB X in Verbindung mit § 52 Abs 2 SGB X die Verjährungsfrist von 30 Jahren herbeigeführt worden ist.

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 25. August 2020 aufgehoben und der Antragsgegner verpflichtet, die Vollstreckung der Forderung aus dem Bescheid vom 3. Juni 2015 betreffend den Zeitraum von September 2011 bis einschließlich Februar 2012 vorläufig bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens einzustellen.

II. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für beide Instanzen zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Antragsgegners, die Vollstreckung der bestandskräftigen Forderung aus dem Bescheid vom 03.06.2015 betreffend den Zeitraum von September 2011 bis einschließlich Februar 2012 i.H.v. 1.438,03 € vorläufig bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens einzustellen und er beruft sich hierbei auf die Verjährung der Forderung.

Der Antragsteller wurde 1970 in Z...., Tunesien, geboren und ist tunesischer Staatsbürger. Er bezieht seit Mai 2011 vom Antragsgegner regelmäßig Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Auf seinen Weiterbewilligungsantrag vom 01.09.2011 hin bewilligte ihm der Antragsgegner mit Bescheid vom 06.09.2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 26.11.2011 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.09.2011 bis 29.02.2012. Die Bewilligung erfolgte im Hinblick auf sein schwankendes Einkommen aus seiner selbständigen Tätigkeit als Autohändler vorläufig.

Mit Bescheid vom 03.06.2015 stellte der Antragsgegner endgültig fest, dass dem Antragsteller für den vorgenannten Zeitraum kein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zusteht und er forderte vom Antragsteller insoweit die Erstattung ausgereichter Zahlungen i.H.v. 1.525,38 €. Einen Rechtsbehelf gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller nicht ein.

Mit Schreiben vom 12.06.2020 teilte die Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Y...., Inkasso-Service, dem Antragsteller mit, dass sie vom Antragsgegner mit der Wahrnehmung des Forderungseinzugs beauftragt wurde. In dem Schreiben wurde der Antragsteller daran erinnert, Forderungen des Antragsgegners in Höhe von insgesamt 6.232,74 € seit der Fälligkeit am 06.07.2015 noch nicht beglichen zu haben und zur Zahlung bis spätestens zum 26.06.2020 aufgefordert. In der in das Schreiben eingebetteten "Forderungsaufstellung" ist u.a. aufgeführt ein "Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 03.06.2015" des Antragsgegners betreffend "Arbeitslosengeld II" sowie "KdU - Unterkunft/Heizung" für den Zeitraum vom 01.09.2011 bis 29.02.2012 mit insgesamt 1.525,38 € als Ursprungsbetrag sowie insgesamt 1.438,03 € als ausstehendem Restbetrag.

Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 15.07.2020 beantragte der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Bescheid vom 03.06.2015 unter Hinweis darauf, dass die Forderung gemäß § 50 Abs. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) innerhalb von 4 Jahren verjährt sei, da § 50 Abs. 4 SGB X lex specialis zu § 52 SGB X sei.

Da der Antragsgegner diesem Antrag nicht entsprach, reichte der Antragsteller am 17.08.2020 beim Sozialgericht Chemnitz (SG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz dahingehend ein, den Antragsgegner zu verpflichten, die Vollstreckung der Forderung aus dem den Zeitraum 01.09.2011 bis 29.02.2012 betreffenden Erstattungsbescheid vom 03.06.2015 vorläufig, längstens jedoch bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens, einzustellen. Zur Begründung führte der Antragsteller im Wesentlichen aus, dass die geltend gemachte Forderung aus dem Erstattungsbescheid vom 03.06.2015 betreffend den vorgenannten Zeitraum augenscheinlich verjährt und damit nicht mehr durchsetzbar sei. Nach summarischer Prüfung und Abwägung der Interessen im konkreten Einzelfall überwiege das Interesse des ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?