Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Versäumung der Beschwerdefrist. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Kanzleiorganisation des Prozessbevollmächtigten. Anforderungen an eine wirksame Postausgangskontrolle. Sicherstellung auch bei Nutzung des EGVP
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Rechtsanwalt hat nicht nur eine zuverlässige Kanzleiorganisation für die Eintragung, Verwaltung und Löschung von Fristen sicherzustellen, sondern er hat auch die Ausgangskontrolle von fristgebundenen Schriftsätzen so zu organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet.
2. Diese Anforderungen sind auch an ein Postausgangskontrollsystem zu stellen, bei dem die Schriftsätze über ein EGVP an das Rechtsmittelgericht gesandt werden.
Normenkette
SGG § 67 Abs. 1, § 64 Abs. 1, 2 S. 1, Abs. 3, § 73 Abs. 6 S. 7, § 73a Abs. 1 S. 1, § 173 Sätze 1-2, § 202 S. 1; ZPO § 85 Abs. 2, § 114 Abs. 1 S. 1, § 572 Abs. 2 S. 2
Tenor
I. Der Antrag des Antragstellers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist wird abgelehnt.
II. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 12. Juli 2017 wird als unzulässig verworfen.
III. Außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
IV. Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 12. Juli 2017 ist nicht statthaft und wird gemäß § 202 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 572 Abs. 2 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) als unzulässig verworfen.
Der Antragsteller hat die Beschwerdefrist nicht gewahrt. Gemäß § 173 Satz 1 SGG ist die Beschwerde binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung beim Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird (vgl. § 173 Satz 2 SGG).
Der mit einer vollständigen und zutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehene Beschluss des Sozialgerichts vom 12. Juli 2017 wurde dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers gegen Empfangsbekenntnis am 12. Juli 2017 (vom Antragstellerbevollmächtigten am selben Tag unterschrieben und am 21. Juli 2017 per Telefax zurückgesandt) zugestellt. Die einmonatige Frist zur Einlegung der Beschwerde begann gemäß § 64 Abs. 1 SGG mit dem Tag nach der Zustellung, das heißt am 13. Juli 2017. Eine nach Monaten bestimmte Frist endet gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 SGG mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Die einmonatige Beschwerdefrist endete somit einen Monat nach dem Tag der Zustellung des Beschlusses, mithin am 12. August 2017, einem Samstag. Fällt das Ende einer Frist wie hier auf einen Sonnabend, so endet gemäß § 64 Abs. 3 SGG die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages, mithin am Montag, dem 14. August 2017. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers übermittelte die an das Sozialgericht adressierte Beschwerdeschrift vom 3. August 2017 jedoch erst am 27. September 2017 per Elektronischem Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) an das Sächsische Landessozialgericht. An diesem Tag war die Beschwerdefrist bereits abgelaufen. Der Antragsteller wahrte mithin nicht die einmonatige Beschwerdefrist.
II. Der zugleich mit der Beschwerdeeinlegung gestellte Antrag des Antragstellers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Beschwerdefrist bleibt ohne Erfolg, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Nach § 67 Abs. 1 SGG ist Voraussetzung für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes liegt ein Verschulden hinsichtlich der Wahrung der Frist vor, wenn der Prozessführende diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. z. B. BSG, Beschluss vom 8. September 2010 – B 14 AS 96/10 B – juris Rdnr. 6; BSG, Beschluss vom 6. Oktober 2016 – B 5 R 45/16 B – juris Rdnr. 14; vgl. auch Sächs. LSG, Urteil vom 14. Januar 2016 – L 3 AS 976/14 – juris Rdnr. 28; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG [12. Aufl., 2017], § 67 Rdnr. 3, m. w. N.). Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten steht dabei gemäß § 73 Abs. 6 Satz 7 SGG i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO dem Verschulden des Beteiligten gleich. Für ein Verschulden von Hilfspersonen des Bevollmächtigten gilt dasselbe dann, wenn dieses vom Bevollmächtigten selbst zu vertreten, also als ...