Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Aufhebung. Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Beschwerdeverfahren. Ablauf der Monatsfrist. Unstatthaftigkeit der Vollziehung. gesetzestreue Verwaltung. Anwendung des § 929 Abs 2 ZPO
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Beschluss über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist im Beschwerdeverfahren nach Ablauf der Monatsfrist aus § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 929 Abs. 2 ZPO wegen der Unstatthaftigkeit der Vollziehung aufzuheben.
2. Der Anwendbarkeit von § 929 Abs. 2 ZPO steht nicht ein mögliches Vertrauen auf eine gesetzestreue Verwaltung entgegen.
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichtes Dresden vom 24. Oktober 2007 aufgehoben.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der angegriffene Beschluss des Sozialgerichtes ist aufzuheben, weil aus ihm nicht mehr vollstreckt werden kann.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 929 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) ist die Vollziehung des Beschlusses über die Anordnung der einstweiligen Anordnung unstatthaft, wenn seit dem Tag, an dem der Beschluss verkündet oder der Partei, auf deren Antrag er erging, zugestellt ist, ein Monat verstrichen ist. Der Beschluss des Sozialgerichtes Dresden vom 24. Oktober 2007 ist dem Bevollmächtigten der Antragstellerin am 26. Oktober 2007 zugestellt worden. Der Antragsgegner hat die in diesem Beschluss angeordneten Leistungen nicht erbracht. Nach den übereinstimmenden Mitteilungen der Beteiligten sind bislang aber auch keine Vollstreckungsmaßnahmen seitens der Antragsteller eingeleitet worden. Damit ist die Vollstreckung aus dem Beschluss unstatthaft mit der Folge, dass der Beschluss wegen veränderter Umstände (vgl. hierzu: Reichold, in: Thomas Putzo, Zivilprozessordnung [28. Aufl., 2007], § 927 Rdnr. 15, m.w.N.) gemäß § 202 SGG i.V.m. § 927 ZPO oder in analoger Anwendung von § 927 ZPO aufzuheben ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. Januar 2006 - L 7 SO 4891/05 ER-B - FEVS 58, 14; Schl.-Holst. LSG, Beschluss vom 4. Januar 2007 - L 11 B 509/06 AS-ER - Breithaupt 2007, 535 = JURIS-Dokument Rdnr. 2 und 3; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Juni 2007 - L 14 B 633/07 AS-ER - JURIS-Dokument Rdnr. 1; Adolf, in Hennig, Sozialgerichtsgesetz [Stand: 13. Erg.-Lfg., August 2007], § 86b Rdnr. 103, m.w.N.; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [8. Aufl., 2005], § 86b RdNr. 46, m.w.N.).
Der Anwendbarkeit von § 929 Abs. 2 ZPO steht nicht entgegen, dass sich die Antragsteller möglicherweise darauf verlassen haben, der Antragsgegner werde sich gesetzestreu verhalten, und sie deshalb von Vollstreckungsmaßnahmen abgesehen haben. Zwar kann sich der Bürger grundsätzlich darauf verlassen, dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts, zu der auch ein Landkreis zählt, sich wegen der in Artikel 20 Abs. 3 des Grundgesetzes verankerten Bindung an Gesetz und Recht auch ohne Vollstreckungsdruck gesetzestreu verhält (vgl. diesbezüglich zur Frage einer etwaigen Subsidiarität einer Feststellungsklage gegenüber einer Leistungsklage: BSG, Urteile vom 26. Mai 1959 - 3 RK 36/56 - BSGE 10, 21 [24] und vom 26. Januar 2000 - B 6 KA 47/98 R - SozR 3-2500 § 311 Nr. 6 S. 42; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [8. Aufl., 2005], § 55 RdNr. 19b, m.w.N.. A.A.: Ulmer, in: Hennig: Sozialgerichtsgesetz [13. Erg.-Lfg., August 2007], § 55 RdNr. 10 und 11, m.w.N.). Dieser Erwartung hat der Antragsgegner nicht entsprochen. Er leistete ohne Rechtsgrund den einstweiligen Anordnungen nicht Folge. Der Antragsgegner hätte die im Beschluss konkret bezeichneten Geldleistungen entsprechend den Vorgaben des Sozialgerichtes vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung an die Antragsteller zahlen müssen. Die einstweiligen Anordnungen waren gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 SGG sofort vollstreckbar. Die vom Antragsgegner fristgerecht eingelegte Beschwerde hatte gemäß § 175 SGG keine aufschiebende Wirkung. Erst Recht entfaltete die bloße Möglichkeit, innerhalb der Monatsfrist des § 173 SGG Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichtes einzulegen, keine aufschiebende Wirkung. Der Antragsgegner beantragte auch weder beim Sozialgericht, gemäß § 175 Satz 3 SGG den Vollzug des Beschlusses einstweilig auszusetzen, noch beim Beschwerdegericht, gemäß § 199 Abs. 2 Satz 1 SGG die Vollstreckung aus dem Beschluss durch einstweilige Anordnung auszusetzen. Der Antragsgegner kam damit rechtsgrundlos seiner Pflicht, die Leistungsverpflichtungen aus den einstweiligen Anordnungen zu erfüllen, nicht nach. Trotz des grundsätzlich gerechtfertigten Vertrauens des Bürgers in eine gesetzestreue Verwaltung kann die Anwendung der Regelung in § 929 ZPO wegen des eindeutigen und ausdrücklichen gesetzlichen Anwendungsbefehls in § 86...