Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bildung und Teilhabe. selbstbeschaffte Lernförderung. Legasthenie. freie Waldorfschule. Erforderlichkeit. Abgrenzung von Leistungen gem § 35a SGB 8. Kostenerstattungsanspruch
Leitsatz (amtlich)
1. Lernförderung gemäß § 28 Abs 5 SGB II umfasst nicht nur kurzfristige sondern auch längerfristige Maßnahmen zum Ausgleich von Teilleistungsschwächen, insbesondere von Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS).
2. Erforderlich im Sinne von § 28 Abs 5 SGB II kann eine Maßnahme der Lernförderung auch dann sein, wenn an staatlichen Schulen grundsätzlich vorhandene Fördermöglichkeiten (hier sog LRS-Klassen) nicht nutzbar sind, weil entweder ein insoweit schulrechtlich vorgesehenes Feststellungsverfahren vom Schulleiter nicht initiiert worden ist oder derartige Maßnahmen an Schulen in freier Trägerschaft nicht angeboten werden.
3. Wegen der Rechtswidrigkeit der Ablehnung von Sach- und Dienstleistungen für Bildung und Teilhabe (§§ 28, 29 SGB II) kommt eine Kostenerstattung nur für solche Leistungen in Betracht, die sich der Leistungsberechtigte nach der Ablehnungsentscheidung des Leistungsträgers selbst beschafft hat. Dies gilt auch für den ab 1.8.2013 in § 30 SGB II geregelten Kostenerstattungsanspruch, bei dem die Nichterreichbarkeit als Sach- und Dienstleistung (§ 30 S 1 Nr 2 SGB II) auch auf rechtswidriger Leistungsablehnung beruhen kann.
Orientierungssatz
1. Legasthenie oder Dyskalkulie als bloße Teilleistungsschwäche ohne hinzutretende seelische Störung als Sekundärfolge begründen noch keinen Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB 8 (vgl SG Nordhausen vom 9.7.2014 - S 22 AS 4109/12).
2. Die Rechtswidrigkeit der Leistungsablehnung durch den Grundsicherungsträger genügt nicht, um einen Kostenerstattungsanspruch zu begründen. Vielmehr muss auch ein Kausalzusammenhang zwischen rechtswidriger Leistungsablehnung und Kostenbelastung bestehen. Dieser fehlt, wenn der Leistungsberechtigte die Entscheidung des Grundsicherungsträgers nicht abgewartet hat, obwohl ihm dies möglich und zumutbar gewesen wäre. Allerdings ist die Kostenerstattung hier bei längerfristigen Leistungen nur für diejenigen Leistungen ausgeschlossen, die bis zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung auf eigene Rechnung beschafft wurden.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 27. August 2013 abgeändert und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Juli 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2012 verpflichtet, die Kosten für den von der Klägerin im Zeitraum 1. Oktober 2012 bis 29. August 2013 am Lehrinstitut für Orthographie und Sprachkompetenz Y.... besuchten Kurs LRS 2 zu tragen und der Klägerin hierfür 870,00 € zu erstatten. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die zur Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 3/4 zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten eines Kurses für Schüler mit Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) als Leistung für Bildung und Teilhabe.
Die 2001 geborene Klägerin besuchte im Schuljahr 2012/2013 die vierte Klasse der Freien Waldorfschule A.....
Ein vom Lehrinstitut für Orthographie und Sprachkompetenz Y.... (LOS) am 12.04.2011 durchgeführter Test ergab bei der Klägerin eine schwere Form der LRS. Die erforderliche intensive Therapie solle in Absprache mit der Schule angegangen und nur dann im LOS zwei Mal wöchentlich intensiviert werden, soweit eine wirkungsvolle Hilfe durch die Schule nicht gewährleistet sei.
Die Schule der Klägerin bestätigte - wie bereits am 19.04.2011 für die dritte Klasse - am 13.07.2012 auch für das vierte Schuljahr die Notwendigkeit der Lernförderung in den Fächern Schreiben, Lesen und Rechnen, da das Erreichen der wesentlichen Lernziele gefährdet sei. Bei Erteilung von Lernförderung könne mit einer positiven Versetzungsprognose gerechnet werden. Des Weiteren bestätigte die Schule, dass die Leistungsschwäche nicht auf unentschuldigtes Fehlen oder anhaltendes Fehlverhalten oder Nichtteilnahme an außerunterrichtlichen Angeboten der Schule zurückzuführen sei. Kostenfreie schulische Angebote für den festgestellten Lernförderbedarf bestünden in den Fächern Lesen und Schreiben nicht.
Am 18.07.2012 schloss die im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) stehende Mutter der Klägerin mit dem LOS einen Vertrag für den Besuch des Kurses LRS 2, der vom 19.07.2012 bis 28.08.2013 stattfand. Der Kurs umfasste 80 Unterrichtsstunden à 45 Minuten. Er fand einmal wöchentlich für zwei Unterrichtseinheiten statt. Die Kosten beliefen sich auf 15,00 € pro Unterrichtsstunde, insgesamt auf 1.200,00 €. Zahlungen hierauf sollten zum 15.11.2012 und 15.04.2013 in Höhe von jeweils 600,00 € erfolgen.
Mit am 23.07.2012 beim Jobcenter A.... eingegangenem Antrag vom 18.07.2012 beantragte die Mutter der Klägerin Leistungen für Bildu...