Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bedarfsgemeinschaft. Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft. Widerlegung der Vermutungsregelung. objektive Beweislast
Leitsatz (amtlich)
1. Die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft setzt das Vorliegen einer Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen muss, voraus.
2. Wenn die Vermutung des § 7 Abs 3a SGB 2 widerlegt ist und Tatsachen, die belegen, dass ein Partner zur Bedarfsgemeinschaft gehört, nicht ermittelt werden können, trägt der Leistungsträger die objektive Beweislast für das Vorliegen der Hilfebedürftigkeit desjenigen, der den Anspruch auf Leistungen nach dem SGB 2 geltend macht.
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 16. Januar 2009 aufgehoben. Der Bescheid vom 4. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2007 in Form des Änderungsbescheides vom 10. Dezember 2007 wird geändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. Oktober 2007 bis 31. März 2008 zusätzliche monatliche Leistungen in Höhe von 352,04 EUR zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin aus beiden Rechtszügen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin und Berufungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) begehrt höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit von Oktober 2007 bis März 2008. Dabei ist insbesondere streitig, ob sie und ihr Mitbewohner, Herr L K (im Folgenden: K.), eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II bilden.
Die Klägerin ist geschieden. Sie bewohnt seit Dezember 2004 gemeinsam mit K. eine Wohnung, deren Mieter K. bereits seit 1994 ist. Vermieter war seit 1994 Herr F L (im Folgenden: L). Der Mietvertrag wurde nach dem Einzug der Klägerin geändert, Mieter waren nun sowohl die Klägerin als auch K. Der Mietzins betrug kalt 206,48 EUR, für laufende öffentliche Abgaben (z. B. Müllabfuhr, Straßenreinigung, Grundsteuer) fiel eine Vorauszahlung in Höhe von 45,52 EUR monatlich an. Eine Vorauszahlung für Heizung und Warmwasser war nach dem Mietvertrag nicht zu leisten. Die im streitgegenständlichen Zeitraum direkt an den Energieversorger zu zahlenden Heizkosten beliefen sich für die gesamte Wohnung auf 61,02 EUR monatlich.
Mit Mietvertrag vom 01.11.2007 schloss die Klägerin mit L. einen separaten Mietvertrag über zwei Zimmer (26 qm und 13 qm) der bereits zuvor bewohnten Wohnung. Ausweislich des Mietvertrages sollten Küche, Bad, WC und Flur gemeinsam genutzt werden. Die Miete beträgt ausweislich des Mietvertrages 86,58 EUR kalt zuzüglich einer Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 22,12 EUR monatlich für laufende öffentliche Abgaben.
Die Klägerin bezieht seit Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II. Im Erstantrag vom 13.01.2005 erklärte sie, dass sie und K. eine reine Wohngemeinschaft und keine eheähnliche Gemeinschaft seien. Bis September 2007 wurden ihr Leistungen ohne Berücksichtigung des Einkommens von K. bewilligt.
Nachdem die Klägerin am 21.08.2007 einen Fortzahlungsantrag gestellt hatte, bat die Beklagte mit Schreiben vom 23.08.2007 um Mitteilung, wie sie mit K. zusammenlebe. Die Klägerin sprach daraufhin am 31.08.2007 bei der Beklagten vor und gab ausweislich eines Aktenvermerkes von diesem Tag an, sie kenne K. schon seit vielen Jahren. Nach der Trennung von ihrem Ehemann sei sie zu ihm gezogen. Es bestehe zwischen beiden eine sehr gute freundschaftliche Beziehung. Es werde eigentlich schon von einer Wohngemeinschaft ausgegangen. Allerdings fänden hin und wieder gemeinsame Unternehmungen statt. Auch werde manchmal gemeinsam gekocht, vor allem wenn ihre Tochter oder eine der Töchter von K. zu Besuch seien. Über eine Kontovollmacht für das Konto von K. verfüge sie nicht. Sie sei sich nicht sicher, wie sie Beziehung nennen wolle. Irgendwie seien sie schon Partner, allerdings bestünden getrennte Schlafplätze. Der Kleiderschrank von K. stehe aber in ihrem Schlafzimmer. Da sie auf keinen Fall irgendwelche Schwierigkeiten haben oder als Betrügerin gelten wolle, werde sie alle Unterlagen von K. einreichen.
Am 11.09.2007 erfolgte ein angemeldeter Hausbesuch bei der Klägerin. Ausweislich des Ermittlungsberichtes vom 12.09.2007 gehören zu der von der Klägerin und K. bewohnten Wohnung Flur, Küche, Bad, zwei Wohnzimmer, Schlafzimmer sowie ein überwiegend für Besuchszwecke bestimmtes Zimmer. Nach Angaben der Klägerin bewohnten sie und K. jeweils ein eigenes Wohnzimmer. K. schlafe auf dem Sofa. Auf dem Sofa habe eine Decke gelegen. Es habe festgestellt werden können, dass die täglichen Lebensgewohnheiten in einer gemeinsamen Haushaltsführung bestünden. Eine Trennung in der Küche bestehe nicht, der gemeinsame Kleiderschrank befinde sich im Schlafzimmer der Klägerin, wo ein weiterer Schrank und das Doppelbett, das beidseitig bezogen gewesen sei, stünden. Eine finanzielle Trennung bei zu leistenden Mietzahlungen sei nicht ersichtlich. Die ...