Verfahrensgang
SG Chemnitz (Urteil vom 03.07.1996; Aktenzeichen S 1 Kr 72/94) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 03. Juli 1996 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit einem Rollstuhl.
Die am … geborene Klägerin erlitt 1993 einen Schlaganfall. Sie leidet seitdem an hochgradiger Demenz vom Alzheimer Typ, die eine völlige Verwirrtheit und mangelhafte Orientierungsfähigkeit zur Folge hat. Die Klägerin ist weder steh- noch gehfähig; sie muß in den Rollstuhl gesetzt und geschoben werden. Beide Hände sind gebrauchsunfähig; auch leidet sie an Harn- und Stuhlinkontinenz. Bereits im Mai 1992 wurde sie nach Auftreten psychischer Auffälligkeiten in eine Nervenklinik aufgenommen; sie ist als Schwerbehinderte mit einem GdB von 100 anerkannt; ihr sind die Nachteilsausgleiche „G”, „H” und „RF” erteilt worden. Bereits am 29. Mai 1992 hat das damalige Kreisgericht Chemnitz-Stadt den gesetzlichen Vertreter als Betreuer für die Klägerin bestellt.
Unter Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung beantragte die Klägerin bei der Beklagten am 05. Mai 1994 sinngemäß die Versorgung mit einem Faltrollstuhl. Nach dem Kostenvoranschlag der Firma REHA-Aktiv in Chemnitz belaufen sich die Kosten der Gestellung auf 1.199,74 DM (Faltrollstuhl) nebst weiteren 395,97 DM für Nebenleistungen (u.a. Fußfixierung).
Das ärztliche Gutachten des DM … (MDK Sachsen) vom 02. Juni 1994 befürwortete die beantragte Leistung nicht. Die Klägerin sei steh- und gehunfähig und in keiner Weise in der Lage, einen Faltrollstuhl selbst fortzubewegen. Eine Rehabilitation sei im Ganzen nicht möglich. Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag durch Bescheid vom 30. Juni 1994 unter Hinweis auf die Stellungnahme des MDK Sachsen ab; die Klägerin könne den Rollstuhl selbst nicht bedienen und sei somit auf eine Hilfsperson angewiesen.
Der Widerspruch blieb ohne Erfolg. Im Bescheid vom 22. November 1994 ist angeführt, die Bereitstellung eines Rollstuhles erreiche bei der Klägerin eine gewisse Selbständigkeit zur aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen Leben nicht. Im übrigen habe das Heim, in dem die Klägerin aufgenommen sei, der Klägerin „ein Mindestmaß an Leistung zur Teilnahme am Heimleben zu gewährleisten”. Wörtlich ist ausgeführt: „Da im übrigen als Zielstellung die Erleichterung der Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals vordergründig ist, hat (die Beklagte den Antrag) zu Recht abgelehnt.”
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte durch Urteil vom 03. Juli 1996 verpflichtet, die Klägerin mit einem Rollstuhl zu versorgen. Dieser sei zum Ausgleich der Behinderung der Klägerin im Bereich der Fortbewegung geeignet; damit diene das streitbefangene Hilfsmittel der Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses. Der Umstand, daß die Klägerin den Rollstuhl nicht mehr selbständig als Fortbewegungsmittel bedienen könne, schließe die Bewilligung nicht aus. Der Hilfsmitteleigenschaft stehe nicht entgegen, daß der jeweilige Gegenstand nur unter Zuhilfenahme Dritter genutzt werden könne.
Gegen das der Beklagten am 29. August 1996 zugestellte Urteil richtet sich die am 26. September 1996 eingelegte Berufung.
Die Beklagte ist der Ansicht, unter Beachtung der individuellen Verhältnisse erreiche die Versorgung der Klägerin mit einem Rollstuhl keine Selbständigkeit zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Die Klägerin leide an hochgradiger Demenz mit der Folge völliger Verwirrtheit und Desorientiertheit; nach der beigefügten gutachterlichen Stellungnahme vom 14. Oktober 1996 sei mit der Klägerin weder ein Blickkontakt noch ein Gespräch möglich. Auch unter Zuhilfenahme eines Rollstuhles sei die Klägerin nicht in der Lage, selbständig, aktiv und vom Personal unabhängig am Gemeinschaftsleben im Heim teilzunehmen. „Rollstühle, die aber lediglich dazu benötigt werden, gehunfähige Heimbewohner zu den Mahlzeiten in den Essensraum oder zu Toilette u.a. zu bringen, lösen keine Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung aus.” (Schriftsatz vom 06. November 1996).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 03. Juli 1996 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung abzuweisen.
Die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Verwaltungsakte der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig. Die Zulässigkeit scheitert nicht an § 144 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Denn die Beklagte greift die erstinstanzliche Entscheidung insgesamt an. Danach steht eine Sachleistung in Höhe von insgesamt 1.595,71 DM in Streit, die mithin den Beschwerdewert in Höhe von 1.000,00 DM übersteigt.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Recht verpflichtet, die Klägerin mit dem streitbefangenen Faltrollstuhl...