Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusatzversorgungssystem. Beitrittsgebiet. Altersversorgung der technischen Intelligenz. Volkseigener Produktionsbetrieb. Gleichgestellter Betrieb. Hauptverwaltung. Neueinbeziehungsverbot. Versorgungszusage. Anwartschaft
Leitsatz (redaktionell)
Bei dem VEB Kraftverkehrskombinat Karl-Marx-Stadt handelte es sich weder um einen volkseigenen Produktionsbetrieb noch um einen dem gleichgestellten Betrieb.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; AAÜG § 1 Abs. 1
Verfahrensgang
SG Chemnitz (Urteil vom 15.05.2002; Aktenzeichen S 16 RA 355/01) |
Tenor
I. Das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 15. Mai 2002 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Feststellung von Zeiten seiner Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVtechInt).
Er wurde am 6.5.1944 geboren und schloss das Studium der Fachrichtung Kfz-Instandhaltung an der Ingenieurhochschule Zwickau (vom 1.9.1967 bis 11.7.1970) als Ingenieur ab. Vom 1.8.1970 bis 31.3.1990 war er als Technologe, Sekretär und Koordinator beschäftigt beim VEB Kraftverkehrskombinat Karl-Marx-Stadt. Am 16.1.2001 beantragte er die Feststellung von Zeiten seiner Zugehörigkeit zur AVtechInt. Die Beklagte lehnte sein Ansinnen ab (Bescheid vom 9.2.2001), da er in keinem volkseigenen Produktionsbetrieb oder gleichgestellten Betrieb gearbeitet habe. Den Widerspruch des Klägers wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 22.5.2001, dem Kläger zugestellt per Übergabe-Einschreiben, zur Post aufgegeben am 30.5.2001).
Dagegen richtet sich die am 2.7.2001 vor dem Sozialgericht Chemnitz (SG) erhobene Klage. Die Verordnung über die AVtechInt vom 17.8.1950 verlange keine Beschäftigung in einem Produktionsbetrieb. Darüber hinaus habe es sich bei dem VEB Kraftverkehrskombinat Karl-Marx-Stadt um eine Vereinigung aller volkseigenen Verkehrs- und Kfz-Instandsetzungsbetriebe gehandelt. Als Vereinigung volkseigener Betriebe (VVB) sei der Beschäftigungsbetrieb des Klägers damit zumindest einem volkseigenen Produktionsbetrieb gleichgestellt gewesen. Das SG hat die Beklagte verurteilt, zu Gunsten des Klägers Zeiten seiner Zugehörigkeit zur AVtechInt festzustellen vom 1.8.1970 bis 31.3.1990 (Urteil vom 15.5.2002). Der VEB Kraftverkehrskombinat Karl-Marx-Stadt sei als Bezirksdirektion des Verkehrswesens einer Hauptverwaltung vergleichbar gewesen, welche in § 1 Abs. 2 der 2. Durchführungsbestimmung zur VO über die AVtechInt aufgeführt gewesen sei.
Gegen das ihr am 26.6.2002 zugestellte Urteil hat die Beklagte Berufung zum Sächsischen Landessozialgericht eingelegt am 8.7.2002. Der ehemalige Beschäftigungsbetrieb des Klägers sei weder als volkseigener Produktionsbetrieb noch als ein diesem gleichgestellter Betrieb anzusehen, meinte sie mit Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 9.4.2002 (B 4 RA 41/01 R).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 15.5.2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG) ist begründet. Zu Unrecht hat das SG die Beklagte verurteilt, Zeiten der Zugehörigkeit des Klägers zur AVtechInt festzustellen, da die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht vorliegen. Das Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) ist auf den Kläger nicht anzuwenden, da sein ehemaliger Beschäftigungsbetrieb weder als volkseigener Produktionsbetrieb noch als ein diesem gleichgestellter Betrieb anzusehen ist.
Maßstabsnorm ist insoweit § 1 Abs. 1 AAÜG. Danach gilt das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften (= Versorgungsberechtigungen), die aufgrund der Zugehörigkeit zu Versorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind (Satz 1). Soweit die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaften bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Verlust als nicht eingetreten (Satz 2). Beide Tatbestände erfüllt der Kläger nicht.
Der Kläger unterfällt nicht dem Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 S. 1 AAÜG. Einen Anspruch auf Versorgung (= Vollrecht) hatte er am 1.8.1991 nicht. Denn ein Versorgungsfall (Alter, Invalidität) war bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingetreten. Der Kläger war auch nicht Inhaber einer am 1.8.1991 bestehenden Anwartschaft. Der bundesrechtliche Ausdruck „Anwartschaft” unschreibt auch im Recht des AAÜG eine Rechtsposition unterhalb der Vollrechtsebene, in der alle Voraussetzungen für den Anspruchserwerb bis auf den Eintritt des Versicherungs- bzw. Versorgungsfalles erfüllt sind. Ob eine Versorgungsanwartschaft bei ...