Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Rentenversicherung. Erwerbsminderungsrente. Nachzahlungsanspruch. Erlöschen. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erfüllungsfiktion. Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Grundsicherungsträgers gegen den vorrangig verpflichteten Rentenversicherungsträger. Kürzung des Erstattungsbetrages nach § 40 Abs 4 S 1 SGB 2 aF
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Anspruch auf Auszahlung des Nachzahlungsbetrages der gewährten Erwerbsminderungsrente besteht nicht, weil er aufgrund der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X iVm § 104 SGB X durch Auszahlung an den SGB II-Leistungsträger erloschen ist. Die Rente wegen Erwerbsminderung ist nämlich gemäß § 5 Abs 1 SGB II iVm § 12a SGB II gegenüber den von der Klägerin zunächst bezogenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts eine vorrangige Leistung iS des § 104 Abs 1 S 2 SGB X, die den Leistungsanspruch nach dem SGB II im maßgeblichen Zeitraum als nachrangige Leistung entfallen lässt.
2. Der Erstattungsbetrag ist nicht nach § 40 Abs 4 S 1 SGB II in der bis 31.7.2016 geltenden Fassung hinsichtlich der Unterkunftskosten zu kürzen. Eine unmittelbare Anwendung des § 40 Abs 4 S 1 SGB II scheidet schon nach dessen eindeutigem Wortlaut aus, weil die Erstattungsforderung nicht auf § 50 SGB X, sondern den §§ 107, 104 SGB X beruht.
3. Auch eine entsprechende Anwendung des § 40 Abs 4 S 1 SGB II scheidet aus. Für eine analoge Anwendung fehlt es bereits an einer planwidrigen Gesetzeslücke. Der eindeutig im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck kommende Plan des Gesetzgebers war es, die Einschränkung der Rückforderungen auf bestimmte Fälle des § 50 SGB X zu beschränken. Andernfalls wäre es ihm unbenommen gewesen, eine derartige Regelung in den unmittelbar benachbarten § 40a SGB II mitaufzunehmen.
4. Auch ist bezüglich der Erstattungsfälle der Leistungsträger untereinander nach §§ 102 ff SGB X eine entsprechende Anwendung des § 40 Abs 4 SGB II nicht erforderlich, da in diesen Fällen ein Ausschluss von Wohngeld nicht besteht. Wird die zu erstattende Leistung vollständig ersetzt, ist ein Ausschluss vom Wohngeld trotz fortbestehendem Transferleistungsbescheids nicht eingetreten. Der erstattungsberechtigte SGB II-Leistungsträger hat über die Fiktion des § 107 SGB X keine Transferleistung, sondern die zu erstattende Leistung gegenüber dem Betroffenen erbracht. Die ursprünglich als Arbeitslosengeld II bewilligte Leistung gilt als Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Insoweit erfährt das Transferleistungsverhältnis eine Novation.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 8. Januar 2019 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Auszahlung eines Nachzahlungsbetrages i. H. v. 2.590,24 € aus einer rückwirkend gewährten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.
Die 1958 geborene Klägerin bezog auf der Grundlage des Bescheides der Beigeladenen vom 03.08.2012 für Juni 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) i. H. v. 460,31 € und für den Zeitraum von Juli 2012 bis November 2012 monatlich 488,09 €. Auf der Grundlage des Bescheides vom 08.08.2014 in Gestalt des Bescheides vom 17.03.2019 erhielt sie im Zeitraum von August 2014 bis Dezember 2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i. H. v. letztendlich 581,12 € monatlich, auf der Grundlage des Bescheides vom 03.12.2014 für Januar und Februar 2015 Leistungen i. H. v. 565,14 € monatlich, auf der Grundlage des Bescheides vom 12.02.2015 für März 2015 322,14 € und auf der Grundlage des Bescheides vom 28.08.2014 344,15 € monatlich für die Monate April und Mai 2015.
Das Landratsamt Erzgebirgskreis hatte der Klägerin für den Zeitraum vom 01.04.2012 bis 31.03.2013 auf ihren Antrag zunächst Wohngeld i. H. v. 227,00 € monatlich bewilligt. Weil die Klägerin ab 01.06.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bezog, wurde die Wohngeldbewilligung ab 01.06.2012 unwirksam. Das Landratsamt Erzgebirgskreis machte gegenüber der Beigeladenen einen diesbezüglichen Erstattungsanspruch geltend.
Die Beigeladene meldete zunächst mit Schreiben vom 07.08.2014 einen unbezifferten Erstattungsanspruch ab 01.07.2014 gegenüber der Beklagten an. Mit Schreiben vom 21.04.2015 und 28.08.2015 machte sie Erstattungsansprüche für die Zeiträume vom 01.06.2012 bis 30.11.2012 und 01.08.2014 bis 30.04.2015 bzw. 31.05.2015 i. H. v. letztlich insgesamt 9.672,53 € geltend.
Auf ihren Antrag gewährte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 13.04.2015 aufgrund eines vor dem Sächsischen Landessozialgericht (SächsLSG) im Verfahren L 4 R 104/13 abgegebenen Anerkenntnisses der Beklagten vom 19.04.2014 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer ab dem 01.07.2009. Der monatliche Zahlbetrag ab 01.06.2015 betrug 622,99 €. Ausweislich Anlage 1 des Bescheides stand der Kläge...