Entscheidungsstichwort (Thema)

Unternehmen. Landwirtschaft. Bodenbewirtschaftung. Obergrenze. Versicherungspflicht

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Einbeziehung in die landwirtschaftliche Unfallversicherung hängt nicht von der schieren Größe eines Grundstücks ab, sondern von dem Umfang der Tätigkeit und dem daraus resultierenden Unfallrisiko.

2. Die Einbeziehung in den Schutz der landwirtschaftlichen Unfallversicherung setzt immer ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Tätigkeit voraus, die allerdings nicht darauf gerichtet sein muss, durch den Verkauf der Produkte an Dritte einen Gewinn zu erzielen. Es genügt auch die Herstellung landwirtschaftlicher Produkte zum Eigenverbrauch.

3. Die ausnahmslose Einbeziehung jeder ihrer Art nach landwirtschaftlich bewirtschafteten Grundstücksfläche, ungeachtet der Intensität ihrer Nutzung, die nicht mehr von § 778 RVO und § 123 Abs. 2 SGB VII erfasst wird, wäre – aus der Sicht derjenigen, die sich gegen eine Versicherungspflicht wenden – wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht mehr durch den in Art. 2 Abs. 1 GG vorgesehenen Gesetzesvorbehalt gedeckt.

4. Die Obergrenze für das Eingreifen der allgemeinen Bagatellgrenze stellt grundsätzlich eine Arbeitswoche im Jahr dar (dies entspricht etwa zwei Stunden Arbeit an 20 Wochenenden) und setzt weiter voraus, dass das Grundstück weder regelmäßig noch in erheblichem Umfang mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet wird und dessen Erzeugnisse hauptsächlich dem eigenen Haushalt dienen. Es kann aber auch eine geringere Arbeitszeit dann Versicherungsschutz begründen, wenn sie im Einzelfall eine von der Haus- und Kleingartenarbeit abweichende, untypisch hohe Unfallgefahr aufweist. Ist die Arbeit so gestaltet, dass sie ihrer Art nach auch im Haus- und Kleingarten anzutreffen ist, kommt es vornehmlich auf den zeitlichen Umfang der Tätigkeit an, wobei die Grundstücksgröße und der dort anzutreffende Bewuchs eine nicht unerhebliche mittelbare Rolle bei der Einschätzung der zeitlichen Beanspruchung spielen.

 

Normenkette

RVO § 776 Abs. 1 Nr. 1, § 778; SGB VII § 123 Abs. 2

 

Verfahrensgang

SG Dresden (Gerichtsbescheid vom 19.06.2001; Aktenzeichen S 5 U 309/98 LW)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 19.06.2001 aufgehoben und werden die Klage gegen die Bescheide vom 26.05.1993, 19.04.1994, 24.04.1995 und vom 27.02.1996, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.09.1998 sowie die Klage gegen die Bescheide vom 21.02.1997, 23.02.1998, 24.02.1999, 21.02.2000, 22.02.2001 und 20.03.2002 abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger beitragspflichtiges Mitglied der Beklagten ist.

Der Kläger ist hälftiger Miteigentümer des streitgegenständlichen 3060 qm großen, nicht eingezäunten Grundstücks in freier Feldflur, das sich rund 400 m vom Haus des Klägers entfernt befindet (Flurstück 129, Gemarkung P.). Weitere Miteigentümerin des streitgegenständlichen Grundstücks ist die Ehefrau des Klägers. Das Grundstück wurde 1979 von dem Kläger und seiner Frau erworben. Zur Lage des Grundstücks und seinem Zustand wird auf die Lageskizze (Blatt 49 der SG-Akte) und auf drei Lichtbilder (Blatt 53 der SG-Akte) verwiesen.

Zur Nutzung des Grundstücks wurden im Verwaltungsverfahren, vor dem Sozialgericht und vor dem erkennenden Senat folgende Angaben von dem Kläger und Dritten gemacht:

  • 10.6.1993, Böttcher, Bürgermeisterin der Gemeinde Plotitz: Der Kläger nutze die Fläche für den persönlichen Eigenbedarf; (Blatt 4 der Beklagtenakte)
  • 20.10.1993, Kläger: 2000 qm Grasland, 1000 qm Gemüsegarten, 20 Obstbäume im mäßigen Zustand; die Erzeugnisse würden überwiegend im eigenen Haushalt verwendet und das Grundstück nur mit seinen in häuslicher Gemeinschaft mit ihm lebenden Familienangehörigen bearbeitet (Blatt 13 der Beklagtenakte);
  • 2.2.1999, Kläger: Gemüsegarten mit Rasenfläche; acht Sauerkirschbäume, zwei Pfirsichbäume, 15 Sträucher Johannisbeeren. Die Sauerkirschbäume würden nicht gepflegt, aus den beiden Pfirsichbäumen würden im Frühjahr die trockenen Hölzer durch ihn entfernt. Das Gras werde in den Sommermonaten in der Regel einmal im Monat mit einem Zeitaufwand von einer Stunde gemäht. Es bleibe auf der Rasenfläche liegen oder werde kompostiert (Blatt 24 f. der SG-Akte).
  • 24.8.1999, Kläger: Bei den Bäumen handele es sich um „Zwergbäume”. Die Differenz gegenüber früheren Angaben erkläre sich durch Wildfraß. Das Grundstück habe eine Fläche von 3060 qm (Blatt 32 f., 44 der SG-Akte).
  • 14.7.2000, Kläger: Das Grundstück sei von Anbeginn als Garten genutzt worden (Blatt 56 der SG-Akte).
  • 1.9.2000, Regionalbauernverband Elbe/Röder: 3060 qm groß und 400 m vom Wohnhaus des Klägers entfernt, bepflanzt mit drei Apfel-, drei Pfirsich- und acht Sauerkirschbäumen, jeweils viertelstämmig und etwa 15 Jahre alt, einmal jährlich Verschnitt, keine hohe Ertragsfähigkeit, zwölf Johannisbeers...

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