Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflichtmitgliedschaft. Versicherungsfreiheit. Landwirtschaftliches Unternehmen. Hausgarten. Ziergarten. Kleingarten. Allgemeine Bagetellgrenze. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Objektive Beweislast

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine Pflichtmitgliedschaft in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung setzt voraus, dass die landwirtschaftlichen Arbeiten die Bagatellgrenze überschreiten. Vorbehaltlich von Besonderheiten des Einzelfalls liegen Aktivitäten nur dann über der Bagatellgrenze, wenn der zeitliche Aufwand pro Jahr eine Arbeitswoche übersteigt.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 1; SGB VII § 123 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; RVO § 776 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 778; BKleinG § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

SG Dresden (Gerichtsbescheid vom 13.07.1999; Aktenzeichen S 5 U 53/99 LW)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 13. Juli 1999 wird zurückgewiesen.

II. Die Beitragsbescheide vom 16. Februar 1999 (Umlagejahr 1997), vom 24. Februar 1999 (Umlagejahr 1998) und vom 21. Februar 2000 (Umlagejahr 1999) werden aufgehoben.

III. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.

IV. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger bei der Beklagten als landwirtschaftlicher Unternehmer in den Jahren 1992 bis 1999 kraft Gesetzes beitragspflichtiges Mitglied aufgrund der Bewirtschaftung einer Obstwiese gewesen ist.

Der am 15.02.1922 geborene Kläger, der seit dem 03.12.1999 über einen Schwerbehindertenausweis mit den Angaben „GdB 90, B, G und aG” verfügt und der mittlerweile aus der sozialen Pflegeversicherung Leistungen nach Pflegestufe II erhält, ist Eigentümer einer Obstwiese mit einer Fläche von 0,421 ha.

Im sozialgerichtlichen Verfahren hat der Kläger am 30.04.1999 zur Bewirtschaftung des Grundstücks wörtlich ausgeführt:

„… es sich auf diesem Grundstück um ca. 20 Bäume handelt, die ca. 30 Jahre alt sind. Eine direkte Ernte findet nicht statt. Das Fallobst wird teilweise aufgelesen und zum Entsaften gegeben und zum Eigenbedarf verwendet, gepflegt und beschnitten wurden diese Bäume schon ca. zehn Jahre nicht mehr. Es werden auf diesem Grundstück lediglich die Gehwege vom großen Gras bereinigt. Dieses bleibt liegen oder wird kompostiert. Über das Jahr verteilt werden ca. 40 Stunden Gartenarbeit erbracht.”

Im Verwaltungsverfahren erließ die Beklagte am 12.11.1997 einen Bescheid, der feststellte, dass der Kläger ein bei ihr kraft Gesetzes beitragspflichtig versicherter landwirtschaftlicher Unternehmer sei. Mit Beitragsbescheid vom 17.11.1997 forderte sie vom Kläger für die Umlagejahre von 1992 bis 1996 einen Beitrag von 312,28 DM. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 10.02.1999 zurückgewiesen wurde.

Zwischenzeitlich war der Beitragsbescheid für das Umlagejahr 1997 am 16.02.1999 und der für das Umlagejahr 1998 am 24.02.1999 ergangen, die nicht mehr in das Widerspruchsverfahren einbezogen werden konnten.

Auf die gegen den Widerspruchsbescheid vor dem Sozialgericht Dresden (SG) erhobene Klage hat das SG den Widerspruchsbescheid mit den Bescheiden vom 12. und 17.11.1997 durch Gerichtsbescheid vom 31.07.1999 aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass das bloße Mähen des Grases, ohne es weiteren landwirtschaftlichen Zwecken zuzuführen, keine landwirtschaftliche Tätigkeit darstelle. Das Auflesen von Fallobst mache für sich genommen nur einen geringfügigen Teil der insgesamt 40 Stunden im Jahr aus. Dadurch allein werde der Kläger nicht zu einem landwirtschaftlichen Unternehmer.

Mit ihrer dagegen eingelegten Berufung macht die Beklagte geltend, dass unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers bei ihm „zweifellos” von einem landwirtschaftlichen Unternehmer auszugehen sei.

Auf Nachfrage des Senats hat der Kläger durch seinen Enkel sodann erklären lassen:

„Wie bereits in meinen vorrangegangenen Schreiben erläutert, ist die genaue Stundenzahl der am Grundstück erledigten Arbeiten nicht mehr nachvollziehbar. Auf die Art der Arbeit wurde bereits eingegangen. Es wurde in manchem Jahr gar kein Saft gewonnen, und in manchem Jahr zwischen 20 und 60 Flaschen Apfelsaft (pro Flasche 0,7 l) gewonnen. Das entspricht einer Menge von ca. 20–60 kg Äpfeln, welche man auch am Straßenrand in ca. einer halben Stunde aufsammeln könnte.”

Mit Schriftsatz vom 06.05.2002 hat die Beklagte erklärt:

„Aufgrund der Mitteilung des Klägers in seinem Schreiben vom 01.03.2001, er habe seit Dezember 1999 nach einer Krebsoperation die Pflegestufe 2 und könne sein Krankenbett nicht mehr verlassen, wird der Kläger ab dem 01.12.1999 bei der Beklagten nicht mehr veranlagt.

Die Beitragsbescheide ab der Umlage 2000 werden aufgehoben. Entsprechende Mitteilungen gehen an den Kläger direkt.

Die Beklagte hält für die Umlagejahre 1992 bis 1999 an ihrem Klageabweisungsantrag fest. Diesbezüglich wird auf das Schreiben vom 23.07.1999 (Blatt 20 bis 22 der SG-Akte) verwies...

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