Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bedarfsgemeinschaft. Anforderungen an den Nachweis des dauernden Getrenntlebens von Ehegatten
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Annahme eines dauernden Getrenntlebens von Ehegatten sind besonders hohe Anforderungen zu stellen, wenn sich Ehegatten trotz bestehender Ehe nicht mehr als Bedarfsgemeinschaft behandeln lassen wollen, denn die Institution der Ehe ist nach den §§ 1353 ff BGB mit einer Vielzahl von Rechten und Pflichten verbunden, die erst durch ein Scheidungsurteil enden.
2. Wenn sich ein Ehegatte nicht mehr an die familienrechtlichen Einstandspflichten halten will, ist er in besonderem Maße darlegungsbedürftig, dass eine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft nicht mehr besteht und eine endgültige räumliche Trennung vollzogen worden ist.
3. Es muss ein nach außen erkennbarer, objektiv hervortretender Wille zumindest eines Ehegatten bestehen, die häusliche Gemeinschaft nicht (wieder) herstellen zu wollen, weil er die eheliche Gemeinschaft ablehnt und das Eheband lösen will.
4. Wenn die Ehe über eine Zeit des Getrenntlebens von drei Jahren hinaus in der gemeinsamen Ehewohnung fortgesetzt wird, ohne dass ein Partner von der Möglichkeit Gebrauch macht, die Scheidung durchzusetzen, mangelt es regelmäßig an einem nach außen erkennbaren Trennungswillen.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 16. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin und ihr Ehemann im Zeitraum vom 01.09.2013 bis 30.04.2014 eine Bedarfsgemeinschaft bildeten und daher das Einkommen ihres Ehemanns bei der Berechnung der Leistungen der Klägerin zu berücksichtigen ist.
Die im Jahr 1949 geborene, erwerbsfähige Klägerin ist mit M... A... verheiratet. Beide sind seit 1996 zu gleichen Teilen Eigentümer einer Eigentumswohnung in A...,. Diese Wohnung ist ca. 76 m² groß, verfügt über vier Zimmer (Wohnzimmer, Schlafzimmer, zwei weitere Zimmer, Küche und Bad). Für den streitgegenständlichen Zeitraum fielen Kosten der Unterkunft in Form von zu zahlender Grundsteuer, der monatlichen Hausgeldzahlung und den Zinsen für den Kredit (insgesamt drei Konten mit den Kontonummern: …, … und …) an. Die Grundsteuer war vierteljährlich am 15.11.2013 in Höhe von 46,02 € und am 15.02.2014 ebenfalls in Höhe von 46,02 € fällig. Die monatliche Hausgeldzahlung betrug im Jahr 2013 214,77 €/Monat (Zeitraum September 2013 bis Dezember 2013). Ab dem 01.01.2014 war an Hausgeld 207,77 €/Monat zu zahlen (Zeitraum Januar 2013 bis April 2013). Kreditzinsen fielen für die drei Konten wie folgt an:
Kontonummer …:
- 31,46 €, fällig im November 2013,
- 31,42 €, fällig im Februar 2014,
Kontonummer …:
- 68,37 €, fällig im Oktober 2013,
- 68,37 €, fällig im Januar 2014,
- 63,10 €, fällig im April 2014,
Kontonummer …:
- 11,85 €, fällig im November 2013,
- 11,84 €, fällig im Februar 2014.
Die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland teilte dem Ehemann der Klägerin zunächst mit, seine Altersrente betrage 1.049,52 € monatlich. Sie nahm zum 01.07.2013 eine Rentenanpassung vor. Danach betrug die Altersrente 1.084,05 € monatlich.
Die Klägerin gibt an, seit ca. 2009 von ihrem Ehemann getrennt zu leben. Am 03.03.2010 reichte die Klägerin die Erklärung über das dauernde Getrenntleben im Sinne des Einkommensteuergesetzes (EStG) ein.
Am 20.09.2012 führte das Ermittlungsteam des Beklagten bei der Klägerin einen Hausbesuch durch. Ausweislich des Prüfberichts vom 28.09.2012 gab die Klägerin an, sie und ihr Ehemann lebten in der gemeinsamen Wohnung getrennt. Sie wolle sich jedoch nicht scheiden lassen, da sie sonst keine Witwenrente erhalte. Auf das Konto und das Auto des Ehemannes habe sie keinen Zugriff.
Am 01.08.2013 beantragte die Klägerin Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beim Beklagten für den Zeitraum ab 01.09.2013. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28.08.2013 ab, weil keine Hilfebedürftigkeit vorliege. Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.11.2013 zurück. Die Klägerin bilde mit ihrem Ehegatten eine Bedarfsgemeinschaft. Sie habe angegeben, sich nicht scheiden lassen zu wollen, da sie dadurch finanzielle Nachteile befürchte.
Ihr Begehren hat die Klägerin mit der am 26.11.2013 zum Sozialgericht Dresden (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Sie lebe von ihrem Ehemann bereits seit Dezember 2009 in der gemeinsamen Ehewohnung getrennt. Sie selbst benutze das Schlafzimmer. Dort stünden zwei Betten für den Fall, dass ein Enkel zu Besuch komme. Das Wohnzimmer nutze sie ebenfalls; dort befinde sich ihr Fernseher. Ihr Ehemann bewohne eines der Kinderzimmer. Er halte sich tagsüber oft im Keller auf. Küche und Bad würden gemeinsam benutzt. Hierfür seien feste Zeiten vereinbart. Sie nutze den Kühlschrank der Einbauküche, ihr Mann die Kühlschränke im Keller und im Korr...