Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung. Asperger-Syndrom. Barrierefreiheit. Explorationsgespräch in einer Klinik. fernschriftliche Kommunikation aus vertrauter Umgebung. gestützte Kommunikation. Mitwirkungspflicht. sozialgerichtliches Verfahren. Amtsermittlungsgrundsatz
Leitsatz (amtlich)
Ablehnung der Durchführung von fernschriftlichen Kommunikationsteilen im Rahmen einer psychiatrischen Begutachtung bei einem an einem Asperger Syndrom leidenden Behinderten.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 28. Juli 2011 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als 50 ab Geburt und Feststellung der Voraussetzungen der Merkzeichen „G“, „B“, „H“ und „RF“.
Der am … 1976 geborene Kläger stellte am 6. September 2006 beim Amt für Familie und Soziales Chemnitz einen Antrag auf Feststellung einer Behinderung, des GdB und die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises, beschränkt auf die in diesem Antrag aufgeführte Funktionsbeeinträchtigung („Autismus“). Als Behandlerin gab er allein Frau Dr. W… (Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in Berlin) an.
Die Versorgungsverwaltung holte daraufhin einen Befundbericht von Dr. W… ein, die unter dem 25. September 2006 ausgeführt hat, der Kläger habe sich am 31. August 2006 in ihrer fachpsychiatrischen Behandlung vorgestellt, da er eine Klärung der Frage gewollt habe, ob er an einem Asperger-Syndrom leiden könne. Er habe eine ausführliche Anamnese und Selbstbeschreibung mitgebracht. Die Beschreibung, die der Kläger von seiner Frühgeschichte bis heute erzählt habe, entspreche dem Symptomenkomplex eines Asperger-Syndroms. Er habe sich, soweit er sich zurück erinnern könne, als Außenseiter gefühlt, habe immer große Schwierigkeiten in der ihn sehr verwirrenden sozialen Kommunikation gehabt, habe Strategien gelernt, damit er nicht so auffalle, ohne je eine richtige gefühlshafte Zugehörigkeit zu entwickeln. Er habe ein gestörtes nonverbales Verhalten gezeigt, er habe keine emotionale Resonanzfähigkeit in der Beziehung zu Anderen, insbesondere nicht zu Gleichaltrigen als Kind gehabt. Er habe Strategien erlernen müssen, um in Kontakt mit Anderen zurecht zu kommen. Seine psychomotorische und motorische Entwicklung sei verzögert gewesen. Er habe ab dem fünften Lebensjahr am Sonderturnen wegen motorischer Auffälligkeiten teilnehmen müssen, er habe eine so schlechte Schrift gehabt, dass er Sonderstunden zusammen mit legastheniekranken Kindern habe durchführen müssen. Seine Hauptaktivität sei „das Leben zu beobachten“ bei Mitschülern, bei Dingen oder Tieren. Dadurch sei er immer Einzelgänger und Beobachter gewesen. Er habe körperlichen Kontakt gemieden, habe soziale Kontakte gefürchtet, habe Schwierigkeiten in der Orientierung im öffentlichen Nahverkehr, gerate immer wieder in gefährliche Situationen auf der Straße, da seine Aufmerksamkeit deutlich reduziert sei und er drohe vor Autos oder Lastwagen zu laufen. Er sei bei sehr zahlreichen Sinneswahrnehmungen in seiner Wahrnehmung gestört, gerate durcheinander, könne diese vielen Wahrnehmungen nicht sortieren. Dies sei insbesondere auf der Straße gefährlich. Gelegentlich komme es zu Synkopen, die er sich dadurch erkläre, dass er hochgradig konzentriert mit einer bestimmten Sache sei und bei Ablenkung dann das Bewusstsein verliere. Neurologisch oder internistisch sei das bisher allerdings nicht abgeklärt. In Überforderungssituationen falle ihm häufig das Atmen schwer, möglicherweise halte er auch die Luft an. Aufgrund der motorischen Einschränkung und auch möglicherweise der Aufmerksamkeitsstörung passiere es ihm immer wieder, dass er beim Radfahren von der Straße abkomme und im Graben lande. Er fahre aufgrund von Gleichgewichtsproblemen mit einem Dreirad für Erwachsene. Unerträglich seien für ihn Veränderungen in der Struktur. Wenn Dinge nicht so stünden wie sie immer stünden, benötige er eine klare Struktur, die er unverändert durchhalten möchte. Da ihm die gefühlshafte Verbundenheit mit anderen fehle, sei es ihm schwierig, die Vermutungen, Annahmen und unterschwelligen Bedeutungen der Anderen zu erfassen, so dass er schnell in eine verwirrte, unsichere Situation gerate. Der Kläger habe das Abitur, habe ein Studium begonnen und nach kurzer Zeit abgebrochen und lebe seitdem mit Unterstützung der Mutter. Es bestehe keinerlei Intelligenzdefizit. Es gebe keine Hinweise auf eine andere Entwicklungsstörung. Aus psychiatrischer Sicht könne davon ausgegangen werden, dass der Kläger unter einem Asperger-Syndrom, also einer autistischen Krankheit leide.
Nach versorgungsärztlicher Stellungnahme (Dipl.-Med. B… am 11. Dezember 2006) stellte das Amt für Familie und Soziales C… mit Bescheid vom 1. Februar 2007 bei dem Kläger eine...