Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit der unselbstständigen Anschlussberufung nach Berufungsrücknahme. Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Angemessenheitsprüfung. Einpersonenhaushalt in Dresden. Wohnflächengrenze. Anwendung der VwV Wohnflächenhöchstgrenzen vom 7.6.2010. Anforderungen an ein schlüssiges Konzept. Stadtratsbeschluss vom 24.11.2011. IWU Gutachten und Stellungnahmen bzw Modifizierung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Rücknahme der seitens des Beklagten zunächst eingelegten Berufung steht der Zulässigkeit der später erhobenen unselbstständigen Anschlussberufung (§ 202 SGG iVm § 524 Abs 1 ZPO) nicht entgegen, weil die Anschlussberufung nicht Rechtsmittel im eigentlichen Sinne ist, sondern nur ein angriffsweise wirkender Antrag, mit dem sich der Gegner an das Rechtsmittel des Berufungsführers anschließt. Sie bietet die Möglichkeit, die vom Berufungskläger angefochtene Entscheidung auch zu seinen - des sich Anschließenden - Gunsten ändern zu lassen. § 156 Abs 3 S 1 SGG ist auf die unselbstständige Anschlussberufung nicht anzuwenden.

2. Im Freistaat Sachsen ist im genannten Zeitraum für einen alleinstehenden Leistungsempfänger eine Wohnungsgröße von 45 qm abstrakt angemessen.

3. Der Ansatz des IWU, die abstrakte Verfügbarkeit von Wohnungen bereits bei der Ermittlung der Angemessenheitsgrenze einzubeziehen, ist nicht zu beanstanden. Die Einbeziehung der nach Wohnungsgrößen differenzierten abstrakten Verfügbarkeit von Wohnungen bereits bei der Ermittlung der Angemessenheitsgrenze gewährleistet grundsätzlich, dass nach der Struktur des örtlichen Wohnungsbestandes alle Leistungsberechtigten am Ort tatsächlich die Möglichkeit haben, mit den als angemessen bestimmten Beträgen eine bedarfsgerechte Unterkunft anmieten zu können.

4. Das dem Stadtratsbeschluss der Landeshauptstadt Dresden vom 24.11.2011 zugrunde liegende, im Gutachten des IWU vom 24.10.2011 niedergelegte Konzept erfüllt in seiner ursprünglichen Form nicht die an ein schlüssiges Konzept zu stellenden Anforderungen, weil es angesichts der teilweisen Verwendung von überregional gewonnenen Daten des Mikrozensus 2006 nicht hinreichende Gewähr dafür bietet, dass es die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Wohnungsmarkts wiedergibt, eine Selektion der unter 25 jährigen Leistungsempfänger auf der Nachfrageseite nicht gerechtfertigt ist, weil für diese keine andere Zumutbarkeitsgrenze als für andere Hilfeempfänger gilt und eine Nichtberücksichtigung von Personen, die nach erfolgter Kostensenkungsaufforderung während der Frist des § 22 Abs 1 S 3 SGB 2 die tatsächliche Miete erstattet erhalten, auf der Nachfrageseite nicht zulässig ist, weil diese durchaus nachfragerelevant sind.

5. Das um diese Schwachpunkte bereinigte modifizierte Modell des IWU erfüllt die an ein schlüssiges Konzept zu stellenden Anforderungen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 18.11.2014; Aktenzeichen B 4 AS 9/14 R)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 1. Juni 2012 wird zurückgewiesen.

II. Auf die Anschlussberufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 1. Juni 2012 abgeändert und wie folgt gefasst:

Der Beklagte wird in Abänderung des Bescheides vom 1. November 2011 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 26. November 2011 und 12. Dezember 2011 und des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2011 sowie des angenommenen Teilanerkenntnisses des Beklagten vom 27. April 2012 verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Dezember 2011 bis 31. Dezember 2011 über den bereits bewilligten Betrag von 688,90 € und für Zeitraum vom 1. Januar 2012 bis 31. Mai 2012 über den bereits bewilligten monatlichen Betrag von 698,90 € weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 12,70 € monatlich zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Der Beklagte trägt 9/20 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Klageverfahren und 4/10 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Berufungsverfahren.

IV. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der der Klägerin für den Leistungszeitraum vom 01.12.2011 bis 31.05.2012 nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu zahlenden Leistungen.

Die 1957 geborene, erwerbsfähige und arbeitslose Klägerin wohnte ursprünglich in einer gemeinsamen Wohnung mit ihrem früheren Ehemann. Nach der zum 01.02.2008 vollzogenen Trennung zog die Klägerin zum 01.06.2008 in die auch heute noch von ihr bewohnte Wohnung in der Z… Str. in D…. Schon vor dem Umzug hatte sie beim Beklagten einen Antrag auf Zusicherung zur Übernahme der Aufwendungen für die neue Unterkunft gestellt, den der Beklagte wegen Unangemessenheit der Mietkosten der neuen Wohnung abgelehnt hatte. Die Klägerin hatte daraufhin handschriftlich am 07.04.2008 erklärt: “Hiermit bestätige ich, die unangemessenen Kosten für die Miete selbst zu tragen„. Der Beklagte gewährte ihr fortan lediglich die nach seiner Auffassung angemessenen Kost...

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