Entscheidungsstichwort (Thema)
GdB und Nachteilsausgleich H bei einem an Galaktosämie leidenden Kind. Beteiligtenwechsel. Sachsen: Rechtmäßigkeit der Übertragung der Aufgaben der Versorgungsverwaltung auf die Kommunen. Schwerbehindertenrecht
Leitsatz (amtlich)
Der Kläger begehrt die Feststellung eines GdB von 30 und der Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich H.
Orientierungssatz
1. Zur Feststellung eines GdB von 30 sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich H bei einem an Galaktosämie leidenden Kind.
2. In Bezug auf die zum 1.8.2008 vom Freistaat Sachsen mit dem SächsVwNG (juris: VwNOG SN) vorgenommene Übertragung der Aufgaben des Schwerbehindertenrechts auf die Landkreise und kreisfreien Städte ergeben sich keine Bedenken hinsichtlich eines Verstoßes gegen die grundgesetzliche Organisationsverteilung und gegen "höherrangige" bundesgesetzliche Regelungen.
3. Ein Wechsel in der Behördenzuständigkeit und damit ein Rechtsträgerwechsel führt im anhängigen Streitverfahren zu einem Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes (vgl BSG vom 5.7.2007 - B 9/9a SB 2/07 R = BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6).
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 20. Dezember 2007 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November 2006 verurteilt, bei dem Kläger ab 19. September 2004 einen GdB von 30 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich “H„ festzustellen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendig entstandenen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 30 und der Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich “H„.
Der am …. 2004 geborene Kläger leidet an einer Galaktosämie, einer seltenen angeborenen Stoffwechselstörung (Auftreten bei Neugeborenen 1:40.000), bei sich zuviel Galaktose im Blut befindet. Die Therapie besteht in lebenslanger laktosefreier und galaktosearmer Diät.
Am 25. Oktober 2005 stellten die Eltern des Klägers beim Amt für Familie und Soziales Leipzig einen Antrag auf Feststellung von Behinderung, des GdB und die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises, der mit dem Vorliegen der Galaktosämie begründet wurde. Gleichzeitig wurde der Nachteilausgleich “H„ geltend gemacht.
Vorgelegt wurden ein Entlassungsbericht der Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche in L. vom 27. September 2004 und ein Arztbrief von Prof. Dr. B. (Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche in L. ) vom 22. November 2004.
Im Entlassungsbericht vom 27. September 2004 wurden folgende Diagnosen mitgeteilt: Galaktosämie, Hyperbilirubinämie, reifes eutrophes Neugeborenes, Windeldermatitis (Entlassungsbefund: u. a. guter Allgemeinzustand). Prof. Dr. B. teilte unter dem 22. November 2005 mit, die Enzymbestimmung bestätige die Diagnose einer klassischen Galaktosämie, die Ernährung müsse weiterhin laktosefrei und galaktosearm gestaltet werden.
In einem Befundbericht von März 2006 hat die Fachärztin für Kinderheilkunde Dipl.-Med. S. (L.) als Diagnose die bereits bekannte Galaktosämie mitgeteilt, Therapie: lebenslange Diät, gute Stoffwechselführung (regelmäßige Stoffwechselkontrollen, Entwicklungskontrollen, AA-Kontrollen).
Nach versorgungsärztlicher Stellungnahme (Dipl.-Med. P. vom 11. April 2006: Galaktosämie - Einzel-GdB 10 - ) hat das Amt für Familie und Soziales L. mit Bescheid vom 20. April 2006 den Antrag des Klägers abgelehnt. Eine Feststellung der Behinderung nach dem Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) setze u. a. voraus, dass die Behinderung für sich allein oder zusammen mit anderen Behinderungen einen GdB von wenigstens 20 bedinge. Bei dem Kläger liege zwar eine Galaktosämie vor. Der dadurch bedingte GdB betrage jedoch nicht wenigstens 20, so dass eine Feststellung nach dem SGB IX nicht möglich sei.
Dagegen legten die Eltern des Klägers am 19. Mai 2006 Widerspruch ein, mit dem ein GdB von 50 und der Nachteilsausgleich “H„ geltend gemacht wurden. Zur Begründung wurde ausgeführt, bei dem Kläger seien insbesondere notwendige Hilfen bei der Planung und Zusammenstellung der Nahrungsmittel nach ihrem Galaktosegehalt erforderlich. Er bedürfe auch der ständigen Überwachung seiner Nahrungsaufnahme. Die Eltern seien täglich gefordert, die Zufuhr der einzelnen Nahrungsmittel genauestens zu kontrollieren, damit die Galaktosezufuhr nicht in einen die Entwicklung des Klägers gefährdenden Bereich komme. Er bedürfe bei den Mahlzeiten ständiger Hilfe, dass er genau nur die für ihn bestimmte Nahrung und nicht etwa von dem Teller eines Dritten esse. Eine unbeaufsichtigte Nahrungsaufnahme würde nicht die lebenserhaltende Funktion seiner Ernährung nach sich ziehen, sondern die Gefahr einer Leber-, Hirn- und Augenschädigung. Gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind sei zusätzliche Hilfe erforderlich. Der hauswirtsc...