Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit. haftungsbegründende Kausalität. Konkurrenzursache. Medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule. aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand. Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben. Konstellation B2 1. Anstrich. Baggerfahrer/Maschinist
Leitsatz (amtlich)
1. Die "Medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule" - Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung des HVBG eingesetzten interdisziplinären Arbeitsgruppe geben den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu den Berufskrankheiten wieder.
2. Mit "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben" iS der Konstellation B2 1. Anstrich der Konsensempfehlungen ist der Befall von mindestens zwei Bandscheiben gemeint. Würde unter Befall von "mehreren Bandscheiben" ein solcher von mindestens drei Bandscheiben verstanden, wäre der bisegmentale Bandscheibenschaden von der Konsensgruppe nicht geregelt worden. Davon ist nicht auszugehen.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 15.04.2004 wie folgt gefasst: Der Bescheid der Beklagten vom 20.07.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2002 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass beim Kläger seit 22.10.1997 eine Berufskrankheit der Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung vorliegt, für die die Beigeladene zuständig ist.
Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
II. Die Beigeladene trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Berufungsverfahren.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über das Vorliegen einer Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BK-Nr. 2108 BKV).
Der 1954 geborene Kläger lernte vom 01.09.1968 bis 31.08.1971 den Beruf des Rinderzüchters und arbeitete hiernach bis 30.04.1973 und vom 01.11.1974 bis 31.12.1991 im erlernten Beruf. Im Zeitraum vom 07.01.1992 bis 30.11.1994 und vom Mai 1995 bis Dezember 1996 ging der Kläger einer Beschäftigung als Baggerfahrer und Maschinist nach. Vom 01.07.1997 bis Oktober 1997 war er erneut als Baggerfahrer beschäftigt. Vom 22.10.1997 bis April 2002 bestand Arbeitsunfähigkeit. Seit 2000 bezieht der Kläger eine Erwerbsunfähigkeitsrente.
Ausweislich seiner Sozialversicherungsausweise war der Kläger im Zeitraum vom 04.12.1968 bis 08.12.1968 wegen sonstiger Formen nicht artikulären Rheumatismus (u. a. Lumbago; Diagnose-Nr. 717), vom 30.03.1979 bis 01.05.1979 sowie vom 28.10.1980 bis 28.11.1980 wegen Bandscheibenkrankheiten (Diagnose-Nr. 722) arbeitsunfähig. Vom 26.06.1984 bis 13.07.1984 und vom 13.08.1984 bis 05.10.1984 befand sich der Kläger wegen Ischias (Diagnose-Nr. 724.3) in stationärer Behandlung.
Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten (TAD) ermittelte zunächst im Verwaltungsverfahren, eine ausreichende Belastung im Sinne der BK-Nr. 2108 BKV habe im Zeitraum von 1968 bis 1991 nicht vorgelegen. Der TAD der G.-BG schätzte ein, der Kläger sei während seiner beruflichen Tätigkeit vom 07.01.1992 bis 30.11.1994 keiner ausreichenden Belastung im Sinne der BK-Nrn. 2108 bis 2110 BKV ausgesetzt gewesen. Der TAD der St.-BG nahm am 06.11.1998 Stellung, die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK-Nrn. 2108 bis 2110 BKV lägen im Zeitraum von Mai 1995 bis Dezember 1996 nicht vor.
Die Arbeitsmedizinerin G. empfahl am 18.05.1999 die Ablehnung der BK-Nrn. 2108 bis 2110 BKV, weil der Kläger keiner ausreichenden Belastung der Wirbelsäule ausgesetzt gewesen sei.
Auf dieser Grundlage verneinte die Beklagte mit Bescheid vom 20.07.2000 das Vorliegen der BK-Nrn. 2108, 2109 und 2110 BKV.
Auf Veranlassung der Beklagten fertigten Chefarzt Dr. L. und Oberarzt Dr. W. , H. Klinikum A. , am 12.04.2001 im Widerspruchsverfahren ein Gutachten nach Untersuchung des Klägers. Beim Kläger liege eine fortgeschrittene Osteochondrosis intervertebrales an den Segmenten L4/5 und L5/S1 mit Zwischenwirbelraumerniedrigung vor. Bei einem leicht asymmetrisch lumbosakralen Übergang zeige sich eine leichte linkskonvexe Lumbalskoliose. Relevante bandscheibenbedingte Beschwerden bestünden seit 1979, so dass eine plausible zeitliche Verknüpfung zur belastenden Tätigkeit nach einer Expositionszeit von ca. neun Jahren gegeben erscheine. Röntgenologisch zeigten sich auch bei L3/4 und im Bereich der oberen Lendenwirbelsäule (LWS) degenerative Veränderungen. Es bestehe ein von unten nach oben abnehmendes Schadensbild. Dies sei für eine beruflich verursachte Erkrankung typisch. Eine BK-Nr. 2108 BKV liege vor. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 20 v. H.
Die Gewerbeärztin nahm am 11.06.2001 erneut Stellung. Gegen eine beruflich bedingte Verursachung des Leidens sprächen ein Beschwerdebeginn vor der beruflichen Belastung, ein Erkrankungsbeginn bereits in der Lehre, das Vorliegen von Fehlhaltungen und Fehl...